Dieser Beitrag erschien vorab auf der Webseite der Piraten Oranienburg.
In der letzten Stadtverordnetenversammlung vom 20. Februar 2023 stand eine Beschlussvorlage der Verwaltung auf der Tagesordnung. Beschlossen werden sollte der grundhafte Ausbau der stark sanierungsbedürftigen Lindenstraße in Oranienburg. Während der Sitzung beantragte ich, die Beschlussvorlage zur erneuten Diskussion und Überarbeitung in den Bauausschuss zurückzuverweisen. Diesem Antrag wurde mehrheitlich gefolgt.
Grund meines Antrages war, dass die Beschlussvorlage der Verwaltung vorsah, im Rahmen der Sanierungsmaßnahmen alle 25 Parkplätze in der Lindenstraße zurückzubauen und zudem eine Einbahnstraßenregelung in Richtung Bahnhof/Stralsunder Straße zu etablieren (siehe oranger Pfeil in der Karte unten). Dabei handelt es sich bereits jetzt um ein Gebiet mit erhöhter Verkehrsbelastung und erheblichem Parkdruck.
In einer Stellungnahme des Klimabeirates vom gestrigen Tage heißt es nun, die Ablehnung [Tatsächlich: Rücküberweisung] der Beschlussvorlage 1107/2022 sei „befremdlich“. So müsse entsprechend des Klimaschutzkonzeptes die „Versiegelung reduziert“ und die „Attraktivität für den motorisierten Individualverkehr verringert“ werden – und dies erfordere die „Reduktion von Parkraum für PKW“.
Ich teile die Einschätzung des Klimabeirates nicht und möchte die Gründe im Weiteren etwas erläutern.
Die Lindenstraße befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof und dem dazugehörigen Park-and-Ride-Parkplatz. Beide erfreuen sich glücklicherweise einer steigenden Beliebtheit. So hat nicht nur die Zahl der Bahnfahrgäste allgemein kontinuierlich zugenommen, sondern auch die Zahl der Pendler, die ihren PKW am Bahnhof abstellen und mit dem ÖPNV nach Berlin fahren. So musste der Park-and-Ride-Parkplatz bereits einmal erweitert werden und ist zu den Stoßzeiten nicht selten komplett ausgelastet. Zusätzlich verschärft wurde die Auslastung durch einen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom Dezember 2020 (den ich für falsch halte, zu dem ich mich aber enthalten habe, da ich persönlich selbst in dem betroffenen Gebiet wohne, siehe Hinweis unten), der das Anwohnerparken in der Stralsunder Straße, der Schulstraße und Lehnitzstraße (in der Karte grün markiert) aufgehoben und damit bewirkt hat, dass auch Anwohner vermehrt auf den Park-and-Ride-Parkplatz ausweichen müssen.
Spiel mit Zahlen
Der Klimabeirat hingegen kritisiert in seiner Stellungnahme, dass zwischen 2014 und 2019 die Zahl der Parkplätze von 2.246 auf 2.407 (+7,1%) zugenommen habe. Diese Zahlen stammen aus einem unabhängigen, von der Stadt 2019 extern beauftragten Gutachten.
Tatsächlich bezieht sich die vom Klimabeirat genannte Zahl aber nur auf die Stellplätze in Sammelanlagen, nicht jedoch auf die Zahl der Stellplätze im öffentlichen Verkehrsraum. Deren Zahl hat sich nämlich zwischen 2014 und 2019 von 561 auf 445 verringert (-20,7%). Betrachtet man die Zahlen noch genauer, so fällt auf, dass vor allem die Zahl der nutzerbeschränkten Parkplätze, also Mieter- und Firmenparkplätze, die von der Allgemeinheit nicht genutzt werden können (in der Karte gelb markiert), massiv gestiegen ist (von 748 auf 955; +27,7%). Die Zahl der nicht nutzerbeschränkten Parkplätze hingegen ist im Untersuchungszeitraum sogar gesunken: von 1.498 auf 1.452 (-3,1%). Im gleichen Zeitraum ist die Bevölkerung Oranienburgs allerdings um 4,6% gewachsen. (Zahlen siehe LK Argus: Zweite Evaluierung der Parkraumbewirtschaftung in der Innenstadt vom 17. Januar 2020, S. 7f.)
Besonders dramatisch war diese Entwicklung im näheren Umfeld des Bahnhofs. Bereits für das Jahr 2019 vermerkte der von der Stadt extern beauftragte Evaluationsbericht:
Die Belegung des Parkraums ist ungleichmäßig auf den Straßenraum verteilt. Es gibt einzelne Straßenabschnitte, die eine hohe oder sehr hohe Belegung aufweisen oder wo die Parkraumnachfrage nicht mehr legal mit den vorhandenen Abstellständen abdeckbar ist. Dies betrifft vor allem innerhalb der Parkzone Ost Bereiche der […] Mittelstraße, Schulstraße, Willy-Brandt-Straße, […] und Lehnitzstraße sowie die außerhalb der Parkzone Ost liegende Lindenstraße [und] Teile des Lindenrings […]
Evaluationsbericht, S. 10. Hervorhebung T. N.
Und weiter:
„Demnach sind die Belegungsgrade werktags um 11 Uhr im Vergleich zu 2017 um 8% im Straßenraum gestiegen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass 2019 15% weniger Abstellstände im Straßenraum zur Verfügung standen. In den Sammelanlagen sowie insgesamt ist der Belegungsgrad nahezu gleichgeblieben. Im Vergleich zu 2014 ist der Belegungsgrad des Straßenraums um 12% angestiegen und insgesamt um 7%“
Evaluationsbericht, S. 12
Für die Lindenstraße gab der Evaluationsbericht die Parkraumauslastung mit 100% an und empfahl ebenso wie bereits 2017 die „Errichtung zusätzlicher Stellplätze im Zuge des geplanten Straßenausbaus der Lindenstraße“ (S. 24).
Aber auch die geplante Einführung einer Einbahnstraßenregelung sehe ich kritisch. So ist die Stralsunder Straße bereits jetzt gerade im Bereich des Bahnhofs und Fahrradparkhauses sehr beengt (siehe rosa Markierung) und stark vom Verkehr frequentiert. Über die Willy-Brandt-Straße und die Schulstraße (die wiederum als Einbahnstraße nur in die Willy-Brandt-Straße führt, siehe blauer Pfeil) wird Verkehr in die Stralsunder Straße eingeleitet, der sich bereits jetzt nicht selten von der Bernauer Kreuzung bis zum Bahnhof zurückstaut. Ein Ausweichen auf die weniger befahrene Lehnitzstraße wäre dann nur noch durch das Wohngebiet über die Krebststraße möglich, die aber selbst sehr beengt ist. Statt den Verkehr zügig abzuleiten, droht dieser noch stärker in die Innenstadt gelenkt zu werden. Auch dies ist letztlich geeignet, die Attraktivität des Park-and-Ride-Angebots zu verringern und einen Umstieg auf den ÖPNV zu erschweren.
Ideologie und Wirklichkeit
Baudezernent Frank Oltersdorf brachte es auf den Punkt, als er in der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung bemerkte, dass hier „unterschiedliche Ideologien aufeinandertreffen“. Nur ist bloße Ideologie statt Fakten selten ein guter Ratgeber.
Oranienburg ist ein Mittelzentrum an der Nahtstelle zum ländlichen Raum und damit eine der wichtigsten Anschlusspunkte an den öffentlichen Personennah- und Regionalverkehr. Flächenmäßig ist unsere Stadt so groß, wie die Berliner Bezirke Pankow, Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg zusammen – nur fährt hier eben keine U-Bahn, keine Tram und auch kein Nachtbus. Solange die Ortsteile und umliegenden Dörfern bestenfalls stündlich, zumeist noch deutlich schlechter und in den Abendstunden gar nicht angebunden sind, werden Menschen auch weiterhin auf den motorisierten Individualverkehr angewiesen sein. Die Frage ist nur, ob sie mit ihrem PKW nur die fünf bis zehn Kilometer zur S-Bahn nach Oranienburg fahren, oder die vollen 30 bis 40 Kilometer nach Berlin. Ebenso dürfte es dem Klima kaum zuträglich sein, wenn Anwohner auf der Suche nach einem Parkplatz mehrmals um den Block kreisen. Solange den Menschen kein adäquates ÖPNV-Angebot gemacht wird, werden diese kaum auf ihr Auto verzichten (können). Mangels Alternativen verkäme eine solche Verkehrspolitik zur bloßen Gängelei und droht gesellschaftliche Akzeptanz für wichtige Klimaschutzmaßnahmen zu verspielen.
Auch der Verweis auf die Starkregengefahr trägt im vorliegenden Fall nicht. Zum einen schließt der grundhafte Ausbau der Lindenstraße die Einrichtung von Versickerungsflächen keineswegs aus. Zum anderen zählt die Lindenstraße gemäß der Starkregenkarte der Stadt Oranienburg gerade nicht zu jenen besonders gefährdeten Flächen.
Selbst wenn der Rückbau der Lindenstraße einen positiven Effekt auf das Klima hätte, stünde dieses Ziel nicht über allen anderen. Wie der Klimabeirat zutreffend bemerkt, sollen diese Aspekte „mitgedacht“ und „berücksichtigt“ werden, aber nicht alle anderen legitimen Interessen aufwiegen. Vielmehr muss es darum gehen, die vielfältigen Bedürfnisse zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen.
Dies kann beispielsweise konkret bedeuten, dass der Parkstreifen künftig (anders als bisher) nur geringfügig versiegelt wird – etwa durch den Einsatz von Rasengittersteinen (siehe rechts). Auch in unmittelbarer Nähe zur Lindenstraße bieten sich andere, zum Teil weit wirkungsvollere Maßnahmen zum Klimaschutz an – wie etwa die Installation von Photovoltaikanlagen auf dem Park-and-Ride-Parkplatz oder die Begrünung des Bahnhofsvorplatzes. Für beide Maßnahmen liegen inzwischen Anträge vor. Bereits im letzten Jahr hat die Stadtverordnetenversammlung auf meinen gemeinsam mit den Grünen gestellten Antrag hin beschlossen, zusätzliche Haushaltsmittel zur Begrünung von Freiflächen in der Kernstadt bereitzustellen. Dies sind sicht- und spürbare Maßnahmen, die mit Sicherheit auf eine weitaus größere Akzeptanz bei den Anwohnern und Pendlern stoßen, als die weitere Verknappung von dringend benötigtem Parkraum.
Update: Weiterer Verlauf
Nachdem die Beschlussvorlage der Verwaltung in den Bauausschuss zurückverwiesen wurde, erhielt dieser dort (Abstimmungsergebnis: 5:5:0) sowie im anschließenden Hauptausschuss (Abstimmungsergebnis 6:6:0) keine Mehrheit mehr. Deshalb reichte die Fraktion FWO/Piraten zusammen mit der CDU folgenden Änderungsantrag ein:
Die Stadtverordnetenversammlung beschließt:
Der Bürgermeister wird damit beauftragt, die Lindenstraße grundhaft auszubauen. Die bestehende Planung ist im Vorfeld so zu überarbeiten, dass in dem betreffenden Straßenzug auch nach dem Ausbau wieder längsseitig mit dem PKW geparkt werden kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Anzahl der Stellplätze analog zum heutigen Angebot mindestens gleichbleibend ist.
ÄnderungsAntrag der Fraktionen CDU und FWO/Piraten zur Beschlussvorlage 1107/2022
Hieraufhin wendeten sich die “Parents for Future Oberhavel” mit einem Offenen Brief an alle Stadtverordneten zu Wort:
Sehr geehrte Damen und Herren Stadtverordnete der Stadt Oranienburg,
Die lokale Ortsgruppe der Klimagerechtigkeitsbewegung Parents for Future Oberhavel hat den (Änderungs-)Antrag zu BV 1107/2022 zur Beschlussfassung durch Stadtverordnetenversammlung der Fraktionen der CDU und FW/Piraten mit Befremden gelesen. Wir möchten mit diesem offenen Brief unserer Position in der Frage Gehör verschaffen.
Zwar wird die derzeitige Wichtigkeit von Parkplätzen für die Bürger:innen der Stadt zur Kenntnis genommen. Dem jedoch steht gegenüber, dass zur Einhaltung der gesetzlichen Klimaziele eine Reduktion der ausgestoßenen Treibhausgase dringend an jeder möglichen Stelle erforderlich ist. Im Klimaschutzkonzept der Stadt Oranienburg wird der Verkehrssektor als einer der Hauptemittenten identifiziert, daher ist es umso wichtiger, dass genau dort Maßnahmen ergriffen werden. Ein Umbau der Lindenstraße unter Erhaltung der bestehenden Parkplätze würde jedoch den Status Quo zementieren und somit einer Reduktion der Treibhausgase aus dem Verkehr direkt entgegenwirken.
Im Antrag wird argumentiert, dass derzeit 60% der Wege in Oranienburg mit dem Auto zurückgelegt werden. Anstatt dies weiter zu unterstützen, sind dringend Anstrengungen nötig, den Anteil des motorisierten Individualverkehrs drastisch zu reduzieren. Dies darf nicht misslingen! Jetzt den Umbau einer Straße zu beschließen, ohne dabei die für den Kraftverkehr verfügbare Fläche zugunsten entsiegelter Grünflächen zu reduzieren, treibt uns direkt in ein „weiter so“, wo doch besonders bei lange wirksamen Entscheidungen wie dem Straßenbau eine rasche Umkehr so dringend notwendig ist.
Das Befolgen der Argumentationslinie für die bestehenden Verhältnisse würde in letzter Konsequenz dazu führen, dass die Verkehrswende (genau wie Energie-, Wärme- und sonstige Wenden) scheitern muss, weil das Behalten des Status Quo grundsätzlich immer der Änderung im Wege steht. Aus diesem Grund müssen Argumente, die für die bereits bestehenden Lösungen angeführt werden, mit besonderer Skepsis geprüft werden. Die Transformation muss uns gelingen, um eine lebenswerte Zukunft für alle zu sichern!
Je schneller wir uns auf Klimaneutralität hin ausrichten, desto weniger Klimafolgekosten werden wir auch hier in Oranienburg tragen müssen. Und betrachtet man die Klimafolgekosten, die auf uns ohnehin zukommen, muss die Frage gestellt werden, ob selbst wenn für 25 Parteien zusätzliche Wege zum Parken eines Kraftfahrzeuges entstünden, dies im Verhältnis stünde zu den Folgekosten, die z.B. im Gesundheitssektor, beim Wassermanagement oder auch bei der Stadtreinigung hier bei uns vor Ort entstehen, wenn dafür mehr Fahrzeuge in der Innenstadt verbleiben, mehr Fläche versiegelt bleibt, weniger Bäume in der Stadt gepflanzt werden und weniger Grünflächen für Schatten und Erholung der Bürger:innen zur Verfügung stehen. Wirksamer Klimaschutz ist gleichzeitig der Schutz unserer Heimat, unserer Stadt und unserer Mitmenschen!
Selbst im Kleinen dürfen Zweifel an der Begründung für diesen Änderungsantrag angemeldet werden: Eigene Beobachtungen scheinen der im Änderungsantrag nicht weiter ausgeführte Behauptung, dass alle Parkflächen des Park & Ride (P&R)-Parkplatzes zu allen Tageszeiten ausgelastet sind, zu widersprechen. Eine längere Erhebung sowie statistische Aufarbeitung und Identifikation des Bedarfs unter Berücksichtigung nicht nur des derzeitigen, sondern auch des Verkehrsaufkommens im Zielzustand der Verkehrswende sollten hier mindestens gefordert werden.
Darüberhinaus muss eine weitere Behauptung im Änderungsantrag in Frage gestellt werden – ob Anwohner:innen im Bereich der Lindenstraße und Nutzer:innen des P&R-Parkplatzes die Parkgelegenheiten statistisch wirklich zu gleichen Zeiten nutzen würden? Oder ob hier durch eine Verknappung der Parkflächen nicht eine höhere Auslastung und damit effizientere Nutzung der bereits bestehenden Flächen im Tagesgang erzielt werden könnte?
Wir sind uns vollständig darüber im Klaren, dass es nicht ausreicht, lediglich dem Kraftverkehr zugeteilte Flächen zu reduzieren, ohne irgendwelche weiteren Änderungen und Verbesserungen vorzunehmen. Vielmehr braucht es eine echte Verkehrswende, die den Umstieg auf umweltfreundliche Verkehrsmittel wie Fahrrad, ÖPNV und Fußverkehr leicht macht und fördert. Eine klimagerechte Stadtentwicklung muss selbstverständlich das Wohl aller Bürger:innen im Blick haben!
Das Annehmen des Änderungsantrags an dieser Stelle würde eine Gelegenheit verstreichen lassen, eine Straße in Oranienburg lebensfreundlich, menschenfreundlich und naturfreundlich umzugestalten. Es würde eine Chance verstreichen lassen, Grünflächen zu schaffen und Bäume zu pflanzen, was beides unumgängliche Maßnahmen zur Klimaanpassung sind. Eine solche Umgestaltung würde im Kleinen helfen, die Stadt auf eine klimafreundliche Zukunft auszurichten und somit hier bei uns konkret einen Beitrag zum Schutz unseres Planeten zu leisten. Blickt man aufs große Ganze, geht es in der Frage somit um deutlich mehr als 25 Parkplätze! Die Parkplätze zu erhalten opfert gleichzeitig ein kleines Stück lebenswertere Zukunft.
Parents for Future Oberhavel ruft Sie daher dazu auf, den vorliegenden Änderungsantrag abzulehnen und stattdessen die unveränderte Beschlussvorlage BV 1107/2022 zu beschliessen. Die Stellungnahme des Klimaschutzbeirats der Stadt Oranienburg zur originalen Beschlussvorlage beschreibt ausführlich, wie sich die vorgeschlagene Gestaltung der Lindenstraße mit rückgebauten Parkplätzen in die bereits verabschiedeten Beschlüsse zum Klimaschutzkonzeptes und zur Mobilitätswende einfügt.
Irgendwo muss man immer anfangen – setzen Sie hier mit dieser Entscheidung ein Zeichen, dass Sie die Stadt Oranienburg in eine klimafreundliche Zukunft führen werden!
Mit klimagerechten Grüßen,
Parents for Future Oberhavel, vertreten durch Matthias Lauterbach
Offener Brief der “Parents for Future Oberhavel” an die Stadtverordneten von Oranienburg vom 07.05.2023
Diesbezüglich möchte ich auf einzelne, in meinen Augen unzutreffenden Aussagen des Briefes näher eingehen.
So geben die „Parents für Future“ an, „die derzeitige Wichtigkeit von Parkplätzen für die Bürger:innen der Stadt zur Kenntnis [zu nehmen]“. Faktisch werden die Bedürfnisse der Bürger aber ignoriert. Zwar heißt es:
„Wir sind uns vollständig darüber im Klaren, dass es nicht ausreicht, lediglich dem Kraftverkehr zugeteilte Flächen zu reduzieren, ohne irgendwelche weiteren Änderungen und Verbesserungen vorzunehmen. Vielmehr braucht es eine echte Verkehrswende, die den Umstieg auf umweltfreundliche Verkehrsmittel wie Fahrrad, ÖPNV und Fußverkehr leicht macht und fördert. Eine klimagerechte Stadtentwicklung muss selbstverständlich das Wohl aller Bürger:innen im Blick haben!“
Offener Brief “Parents for Future”
Eine Verbesserung des ÖPNV lässt aber gerade auf sich warten. Die Stadtverordnetenversammlung hat daher in derselben Sitzung einen fraktionsübergreifenden, von CDU und FWO/Piraten unterstützten Antrag auf der Tagesordnung, der den Bürgermeister auffordert, endlich die längst beschlossenen Verbesserungen am ÖPNV umzusetzen. Solange dies aber nicht erfolgt ist, haben die betroffenen Bürger kaum Ausweichmöglichkeiten. Wer den Bedarf anhand „des Verkehrsaufkommens im Zielzustand der Verkehrswende“ (Zitat Parents for Future) identifiziert und deshalb heute schon Parkraum reduziert, ohne den ÖPNV als Alternative auszubauen, hat gerade nicht das Wohl aller Bürger im Blick.
Auch hieß es in der Antragsbegründung von CDU/FWO und Piraten nicht, dass „dass derzeit 60% der Wege in Oranienburg mit dem Auto zurückgelegt werden“, sondern dass „rund 60 Prozent aller Alltagswege“ – mithin also auch der Weg zur Arbeit – mit dem Auto erfolgen. Dies betrifft nicht nur Oranienburger selbst, sondern auch Menschen aus dem ländlichen Raum, die nach Oranienburg einpendeln, um von hier aus mit der Bahn weiter zu fahren. Insofern entstehen durch den weiteren Wegfall von Parkplätzen im Bahnhofsumfeld nicht nur „für 25 Parteien zusätzliche Wege zum Parken eines Kraftfahrzeuges“ (wo auch immer dieser Weg angesichts des allgemeinen Parkplatzmangels auch hinführen sollte), sondern womöglich sogar zusätzliche Strecken mit dem Kraftfahrzeug bis nach Berlin, wenn der Umstieg auf den ÖPNV mangels Parkplatz unattraktiv wird.
Dabei gehen die „Parents for Future“ selbst davon aus, dass diese Parkplätze von mehr als 25 Parteien genutzt werden:
„Eigene Beobachtungen scheinen der im Änderungsantrag nicht weiter ausgeführte Behauptung, dass alle Parkflächen des Park & Ride (P&R)-Parkplatzes zu allen Tageszeiten ausgelastet sind, zu widersprechen. […] Darüberhinaus muss […] in Frage gestellt werden – ob Anwohner:innen im Bereich der Lindenstraße und Nutzer:innen des P&R-Parkplatzes die Parkgelegenheiten statistisch wirklich zu gleichen Zeiten nutzen würden? Oder ob hier durch eine Verknappung der Parkflächen nicht eine höhere Auslastung und damit effizientere Nutzung der bereits bestehenden Flächen im Tagesgang erzielt werden könnte?“
Offener Brief “Parents for Future”
Die hohe Auslastung des Park-and-Ride-Parkplatzes wird von den „Parents for Future“ demnach bezweifelt. Dabei ist die Auslastung des Parkplatzes unter der Woche gegen 9:30/10 Uhr regelmäßig bei über 100 Prozent, sodass von Autofahrern bereits nicht als Stellplatz ausgewiesene Flächen als Parkplatz verwendet werden (siehe Bild). Auf dem Parkplatz selbst kreisen verzweifelte Autofahrer auf der Suche nach einer freiwerdenden Lücke. Ob das dem Klima zuträglicher ist, als 25 parkende Autos, wäre zu hinterfragen.
Diese Aufnahmen entstanden an einem Dienstag gegen 9:15 Uhr und zeigen aus Parkplatzmangel verkehrswidrig abgestellte Fahrzeuge auf dem Park-and-Ride-Parkplatz. Markiert sind die Strafzettel des Ordnungsamtes.
Recht geben muss man den „Parents for Future“ sicherlich dahingehend, dass die Lindenstraße im Zuge des Umbaus ökologisch aufgewertet werden muss. Dies kann – neben der bereits erwähnten geringeren Versiegelung des Parkraumes – durch eine Renaturierung der derzeit noch vom Imbis „Spatzennest“ belegten Fläche, der Aufnahme des inzwischen größtenteils überwachsenen Bürgersteigs zum früheren Busbahnhof, der Schließung von Lücken im Baumbestand und der Errichtung von Versickerungsflächen geschehen. Ein Rückbau der Stellflächen hingegen sollte erst erfolgen, wenn der ÖPNV hinreichend ausgebaut und die Ziele der Verkehrswende erreichbar sind.
Transparenzhinweis: Der Autor lebt selbst innerhalb des betroffenen Gebiets.
Bildquelle: Manfred Richter via Pixabay
Stefan
Am Traurigsten an der ganzen Geschichte ist, dass dort niemand – weder die Parkplatzfetischisten, noch die ÖPNV-Utopisten, noch die Stadtgrün-Jünger und auch keine anderen Beteiligten – auch nur im Entferntesten daran denkt, dass man bei der Neuanlage einer Straße im Sinne der Nachhaltigkeit die vorhandene Fläche am allerbesten für einen dedizierten Zweirichtungsradweg nutzen sollten. Optional kann man auch so planen und bauen, dass man (quasi als Kompromiss) erst einmal einen durchgehenden Parkstreifen anlegt, der später ohne großen Aufwand in den Zweirichtungsradweg umgewandelt werden kann (Wenn anderswo Parkplatzkapazitäten geschaffen sind oder weniger Autos fahren, oder sich die Leute endlich praktische Kleinwagen kaufen, die weniger Raum einnehmen, weil man die bescheuerten SUVs durch Steuern unbezahlbar gemacht hat).
Es braucht zuallererst einmal ein flächendeckendes, lückenloses Radwegenetz auf dem jeder schnell, bequem und – vor allem – sicher innerhalb der Stadt von A nach B kommt. Das ist realistisch umsetzbar, nachhaltig und dauerhaft kostengünstig (insbesondere im Vergleich zum ÖPNV) und würde ein für alle Menschen sofort klar und deutlich wahrnehmbares echtes Alternativangebot im öffentlichen Raum darstellen.
Am Ende steht hier wieder eine verpasste Chance: Entweder wird der öffentliche Raum mit Bäumen zugestellt, die dann nie wieder wegkommen oder es wird Rasengitter-Parkplätze geben und da kann man mit dem Fahrrad nicht vernünftig drauf fahren. Und selbst wenn man dann in ein paar Jahren endlich einmal zur Vernunft kommt und eine vernünftig Radverkehrsinfrastruktur umsetzen will, werden die Straßen, die dann “doch gerade erst neu gemacht” worden sind, als letzte angefasst werden. oder es heißt: “Ja, leider kein Platz im Straßenraum für einen dedizierten Radweg. Wir werden jetzt für die nachhaltige Mobilitätswende nicht die tollen Straßenbäume wieder entfernen – das wäre ja absurd.”
Stefan
Danke fürs Veröffentlichen. Ich antworte mir hier einmal selbst um noch hinterherzuschieben:
Auf der Planskizze sieht man übrigens schon, dass es mit der geplanten Fahrbahnbreite “ausreichend Platz” geben wird, um mit dem Auto Radfahrende zu überholen. Dass es sich hier mit ca. 75cm aber gerade einmal um die Hälfte des nach StVO vorgeschriebenen seitlichen Überholabstand von mindestens 1,5m handelt und damit faktisch ein Überholen von Radfahrenden in dieser Straße verboten sein wird, interessiert viele Autofahrende erfahrungsgemäß überhaupt nicht. Das heißt, wenn das so umgesetzt würde, wäre hier nicht nur wieder einmal nicht an den Radverkehr gedacht, sondern genau genommen würde ein Stück Infrastruktur (schmale Straße) neu geschaffen, das explizit zur Gefährdung von Radfahrenden beiträgt bzw. auf dem sich Radfahrende mit Sicherheit nicht sicher und wohl fühlen werden. Ich frage mich ganz offen warum man eigentlich immer wieder Landschaftsarchitekten mit der Planung von Verkehrsraum beauftragt und nicht Verkehrsplaner – man lässt sich beim Hausbau den Unterverteiler doch auch vom Elektriker und nicht vom Fliesenleger bauen?