Am 21./22. Oktober 2017 fand der Bundesparteitag der Piratenpartei Deutschland in Regensburg statt. Dieser stand unter dem Eindruck von vier verlorenen Landtagswahlen und einer mit 0,37% mehr als deutlich verlorenen Bundestagswahl. Der bisherige Bundesvorsitzende Patrick Schiffer hatte bereits vorab auf eine erneute Kandidatur verzichtet und zog zu Beginn der Veranstaltung ein bemerkenswert selbstkritisches Fazit seiner Amtszeit.
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Eigentlich wollte ich mit diesem Beitrag noch etwas warten und erst im Zusammenhang mit einer umfassenderen Wahlergebnisanalyse über mögliche Strukturreformen der Piratenpartei schreiben. Nun ist aber durch den Antrag von Michael Ebner zumindest in Teilen der Partei wieder einmal eine Diskussion darüber entbrannt, ob ein Delegiertensystem etwas am Zustand der Partei ändern könnte, oder nicht. Diese Diskussion wird bei den Piraten seit Jahren, insbesondere nach vergeigten Wahlen, energisch geführt und besonders Befürworter eines Delegiertensystems oft als Verräter an den Idealen der Partei verketzert. Ich habe daher einen Vorschlag, der meines Erachtens einen Kompromiss zwischen beide Lagern darstellen kann, weil er politische Handlungsfähigkeit mit dem hohen Anspruch der Partei nach Basisdemokratie in Einklang bringen kann. Wer meinen Vorschlag kaum erwarten kann, darf den folgenden Abschnitt gern überspringen.
Zur Situation
Die Piratenpartei ist bei der Bundestagswahl mit einem desaströsen Ergebnis von 0,37% hart aufgeschlagen. Eine umfassende Analyse dieses Ergebnisses steht zwar noch aus. Ersten Rückmeldungen anderer Kandidaten auf den entsprechenden Mailinglisten und in den Mumblechats der Partei entnehme ich aber, dass ein vernünftiger Wahlkampf in der Breite auf Grund fehlender aktiver Mitglieder gar nicht geführt werden konnte. Das Social-Media-Team war chronisch überlastet, Plakate konnten nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellt und aufgehängt werden, Infostände waren One-Man-Shows oder wurden gleich ganz abgesagt. Bis auf wenige Ausnahmen überall dasselbe Bild: Ein Piratenschiff ohne Mannschaft. Und wenn doch mal ein Mitglied im Wahlkampf auf einen potenziellen Wähler stieß, begann das Gespräch meist mit der Frage „Piraten? Euch gibt’s noch?“. Der Beteiligungspartei fehlen die Beteiligten. Doch warum sollte ausgerechnet ein Delegiertensystem (keine Sorge, ich schlage gleich etwas anderes vor!) daran etwas ändern?
Fakt ist, dass sich ein großer Teil unserer Mitglieder (und erst recht jene, die uns bereits verlassen haben) nicht mehr in ausreichendem Maße mit der Partei verbunden fühlen. Das kann zum einen sein, weil man uns keine politischen Chancen mehr einräumt. Für diesen Teil der (Ex-)Mitglieder kann auch ich kein unmittelbares Angebot machen, weil wir auch auf absehbare Zeit politisch chancenlos bleiben werden. Soviel Ehrlichkeit sollte sein. Was wir aber tun können, ist die Grundlage dafür zu legen, dass sich daran wieder etwas ändert.
Zum anderen habe ich eine mittlere zweistellige Zahl an Mitgliedern persönlich gesprochen, die sich zwar selbst irgendwie als Piraten, aber nicht mit einem wesentlichen Teil unseres aktuellen Programms identifizieren. Da ich selbst diesem Lager angehöre, vermag ich nicht zu sagen, wie groß diese Fraktion tatsächlich ist und ob es sich möglicherweise um ein Filterblasenproblem meinerseits handelt. Was ich aber aus den persönlichen Gesprächen sagen kann, ist dass der größte Teil dieser Leute auch jede Hoffnung aufgegeben hat, in irgendeiner Weise noch signifikant Einfluss auf den Kurs der Partei nehmen zu können. Sie fühlen sich oftmals unterrepräsentiert und wählen Apathie als Form des politischen Exils. Andere hoffen auf bessere Zeiten (die so nicht kommen werden) und stellen bis dahin jegliche Unterstützung der derzeit dominierenden Fraktion ein. Dies verstärkt die Repräsentanzprobleme, führt zu einer wachsenden Entfremdung mit der Partei, fehlendem Personal im Wahlkampf und damit wiederum zu politischen Misserfolgen, Austritten und einer noch stärkeren Belastung der verbliebenen Mitglieder. Ein Teufelskreis.
Der einst so attraktive Anspruch, jedem Mitglied die Möglichkeit zu geben, direkt Einfluss auf das Handeln der Partei zu nehmen, ist so über die Jahre zunehmend pervertiert worden. Stattdessen hat sich eine Parteioligarchie herausgebildet, in der vor allem zeitlich flexible, mobile und (in geringerem Maße auch finanziell potente) Mitglieder der Partei im mächtigsten Gremium – dem Bundesparteitag – stark überrepräsentiert sind. Dieser „harte Kern“ ist über die letzten Jahre auf einen Kreis von ca. 300 Mitgliedern zusammengeschrumpft. Demgegenüber stehen rund 5400 stimmberechtigte Mitglieder, die derzeit nur geringe Chancen auf tatsächliche Mitbestimmung innerhalb der Partei haben. Die Partei verlor damit ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zu anderen Parteien, welches ursprünglich für viele Mitglieder überhaupt erst der Grund war, sich ausgerechnet für die Piraten zu engagieren. Folglich kann die Einführung eines reinen Delegiertensystems und ein kompletter Bruch mit dem Prinzip „one man, one vote“ keine Lösung des Problems sein. Daher wurde bereits eine Reihe von Alternativen (von verbindlichen Online-Abstimmungen über Online-Parteitage bis hin zu parallelen, dezentralen Parteitagen) diskutiert und zum Teil erfolglos probiert. Ich möchte mit diesem Beitrag eine weitere Alternative zur Diskussion stellen.
Ein Vorschlag zur Güte
Mein Vorschlag ließe sich wie folgt kurz zusammenfassen:
Der Bundesparteitag bleibt in seiner bisherigen Form im Kern bestehen. Das heißt jedes Mitglied erhält weiterhin die Möglichkeit, an der Versammlung teilzunehmen und sein Stimmrecht wahrzunehmen. Ergänzt wird der Parteitag um eine Delegationskomponente – die man im Falle begrifflicher Vorbehalte auch Botensystem nennen könnte. Hierbei erhalten die jeweils niedrigsten Gliederungen (Kreis-, Stadt- und Bezirksverbände) die Möglichkeit, einen oder mehrere Delegierte („Boten“) zu Parteitagen zu entsenden, die das Stimmrecht ihrer nicht anwesenden Mitglieder wahrnehmen können. Aus Gründen der Nachvollziehbarkeit hat die Abstimmung der Delegierten (die parallel als einzelne Mitglieder mit einfachem Stimmrecht akkreditiert sein können) öffentlich zu erfolgen.
Auf diese Weise hätten auch verhinderte Mitglieder eine Möglichkeit, ihr Stimmrecht auf Bundesparteitagen geltend zu machen. Dies setzt voraus, dass die Kreisverbände die Chance erhalten, über Anträge und Personalien im Vorfeld zu diskutieren und zu entscheiden um den oder die Delegierten vor Beginn des BPT mit einem Votum der Gliederung auszustatten. Damit dies möglich ist, muss die Antragsfrist in zeitlich hinreichendem Abstand zum BPT enden. Zudem dürfen auf dem BPT keine wesentlichen Änderungen an Anträgen mehr erfolgen und auch sonst keine Umstände entstehen, die eine Verschiebung des bereits erfolgten Abstimmungsverhaltens rechtfertigen. So muss insbesondere die Diskussion der Anträge vorverlagert werden. Diese Diskussion sollte allen Mitgliedern der Partei offen stehen und sich nicht nur auf die beim BPT anwesenden Personen beschränken. Wiki-Arguments könnte hierfür ein geeignetes Werkzeug sein. Bereits heute gibt es jedoch eine derartige Fülle an Anträgen, die vom Parteitag kaum noch bewältigt werden kann. Mit meinem Vorschlag wäre zunächst einmal anzunehmen, dass sich die Zahl der Anträge noch weiter erhöht, da eine persönliche Anwesenheit, ein Vorstellen und ein Verteidigen des Antrags auf Parteitagen als Hürde entfällt. Um mit der zu erwartenden zahl dennoch umzugehen, schlage ich daher vor, die Tagesordnung (zumindest aber den TOP über die Abstimmung der Anträge) im Vorfeld durch ein Onlinevoting – an dem alle Mitglieder beteiligt werden könnten – festzulegen. Auf dem BPT würden dann nur die X Anträge mit dem höchsten Ranking zur Abstimmung gestellt. Durch die Vorverlagerung (und Intensivierung) der Diskussion sowie das anschließende Abstimmungsverfahren über die vorliegenden Anträge würde sich (hoffentlich) auch eine höhere Qualität der Anträge insgesamt ergeben. Über das Votum, welcher Antrag überhaupt zur Abstimmung gestellt wird, bilden sich zugleich auch die Prioritäten der Partei ab und das Programm wird nicht durch zahlreiche Nischenthemen so stark zerfasert wie derzeit. Auch GO-Schlachten um die Tagesordnung würden damit der Vergangenheit angehören. Mit Wiki-Arguments ließen sich zudem auch die besten Argumente für und gegen einen Antrag herausfiltern, sodass eine Entscheidung auch für die Mitglieder erleichtert wird, die keine Zeit haben sich hinreichend über das Für und Wider jedes einzelnen Antrags zu informieren.
Auch für Personenwahlen ist ein solches Vorgehen prinzipiell denkbar. Spontankandidaturen wären damit nicht möglich. Vielmehr müssten sich Personen frühzeitig um Parteiämter bewerben und einen regelrechten Wahlkampf um Posten führen. Hierdurch hätte jedes Mitglied die Möglichkeit, sich umfassender als bisher über die Bewerber zu informieren. Ein einmaliges sympathisches Auftreten auf dem Parteitag würde somit nicht mehr zum Erfolg führen. Zudem ist anzunehmen, dass Personen, die sich bereits innerparteilich durch einen echten Wahlkampf durchsetzen mussten auch für den Wettstreit mit der politischen Konkurrenz außerhalb der Partei besser gerüstet sind. Personelle Totalausfälle werden damit zwar nicht unmöglich, zumindest aber erschwert.
Die größten Vorbehalte gegen das von mir vorgeschlagene System bestehen vermutlich im Abstimmungsverhalten der Boten. Viele Mitglieder haben Angst, dass diese nicht in ihrem Sinne votieren könnten. Dagegen ist grundsätzlich anzuführen, dass die Boten selbst ja zunächst einmal demokratisch bestimmt werden. Darüber hinaus würde ich den Boten grundsätzlich das Recht einräumen, uneinheitlich abzustimmen oder das Stimmrecht auf mehrere Boten zu verteilen, um auch kontroverses Stimmungsbild innerhalb des Kreis- oder Stadtverbandes – und damit auch innerhalb der gesamten Partei – abzubilden. Da die Abstimmung der Boten zudem grundsätzlich öffentlich zu erfolgen hat, ist zudem auch eine gewisse soziale Kontrollfunktion gegeben, da man sich auf Ebene der niedrigsten Gliederung in der Regel persönlich kennt. Eine Abstimmung entgegen des Votums des Kreisverbandes würde somit zwangsläufig auch die Autorität des Boten untergraben und seine Wiederwahl erschweren. Wer seinem Boten dennoch massiv misstraut, erhält auch weiterhin die Möglichkeit persönlich zum BPT zu erscheinen und sein Stimmrecht wahrzunehmen oder im schlimmsten Fall einer anderen Gliederung beizutreten. Gleichzeitig wären (z. T. willkürliche) Kettendelegierungen wie bei LQFB ausgeschossen.
Abschließend noch ein paar Worte zum lieben Geld. Denn auch finanziell würde sich dieses System möglicherweise für die Partei lohnen. Grundsätzlich sind die niedrigsten Gliederungen der Piratenpartei durch die fehlgeleitete innerparteiliche Verteilung der Gelder finanziell am besten ausgestattet. Oftmals liegen dort größere Beiträge unangetastet, da jeder Kreisverband darauf bedacht, seine Unabhängigkeit zu sichern. Es sollte daher für die wenigsten Kreisverbände ein Problem darstellen, im Ernstfall zweimal im Jahr 300 Euro für einen Boten bereitzustellen. Da dieser einen klar geregelten Anspruch auf die Kostenerstattung hat, erhält er zugleich die Möglichkeit diese Auslagen aus Aufwandsverzicht an die Partei zurückzuspenden, was sich positiv auf die staatliche Parteienfinanzierung auswirken würde. Für die Boten, die auch als Einzelperson zum BPT gefahren wären, ergibt sich finanziell keinelei Unterschied und klamme Gliederungen könnten (ein entsprechendes Votum vorausgesetzt) die Botenfunktion auch auf ohnehin anwesende Mitglieder übertragen. Für die Gliederungen würde zudem der Anreiz zunehmen die Zahlungsmoral der Mitglieder zu verbessern um das eigene Stimmgewicht auf dem Parteitag zu erhöhen.
Weitere Stimmen:
Während der Sammlung der zur Kandidatur notwendigen Unterstützerunterschriften bin ich häufiger von Unterzeichnern gefragt worden, warum ich denn überhaupt kandidiere. Die meisten Fragenden meinten dies allerdings weniger inhaltlich, sondern fragten eher nach dem prinzipiellen Sinn einer Kandidatur – insbesondere für eine Kleinpartei. Beide Fragen möchte ich in diesem Beitrag beantworten. Was mich aber besonders betroffen gestimmt hat: Viele Passanten beendeten das Gespräch mit den Worten „Ich gehe ohnehin nicht wählen“, oder gaben an „von der Politik insgesamt die Schnauze voll zu haben“. Damit wären wir bei meiner Motivation.
Warum ich kandidiere:
Von Meckern allein wird es nicht besser. Ich beschwere mich selbst gern und nur allzu oft über die Zustände in unserem Land, Europa und der Welt. Aber ich glaube fest, dass man es besser machen könnte. Sicherlich sind meine Chancen tatsächlich ein Mandat zu erringen überaus überschaubar. Und dennoch möchte ich meine Kandidatur nutzen, um meine Vorstellungen vorzutragen und damit vielleicht auch andere Menschen ermuntern, sich aus der allgemeinen Lethargie zu erheben und ihre Interessen wieder selbst in die Hand zu nehmen. Politik lebt vom Mitmachen. Genau das möchte ich tun – und wenn es diesmal nicht klappt, dann vielleicht ein anderes mal. Sollte es wider erwarten doch mit einem Direktmandat klappen, habe ich jedoch auch konkrete Vorstellungen.
Wofür ich mich einsetzen möchte:
Bürgerrechte
Ich setze mich für den Schutz und die Verbesserung der Bürgerrechte ein, um die Freiheit des Individuums zu stärken. Die individuelle Freiheit ist im Zweifelsfall höher zu bewerten als ein möglicher Gewinn an Sicherheit durch eine Überwachung der Bürger.
Dies bedeutet, dass bestehende Überwachungsgesetze auf den Prüfstand zu stellen und ineffektive Regelungen abzuschaffen sind. Vor der Verabschiedung neuer Sicherheitsgesetze ist eine Überwachungsgesamtrechnung anzufertigen, um eine Verhältnismäßigkeit hinsichtlich des Rechts auf Privatsphäre des einzelnen sicherzustellen. Sämtliche Gesetze, die Rechte der Bürger beschränken, sind nach einem vorgegebenen Zeitraum ebenfalls auf ihre Effektivität hin zu überprüfen und ggf. wieder außer Kraft zu setzen. Um die Einhaltung bestehender Befugnisse sicherzustellen, sind Aufsichtsorgane wie das Parlamentarische Kontrollgremium personell und materiell besser auszustatten und mit umfangreicheren Auskunftsrechten zu versehen.
Meinungsfreiheit
Jegliche Beschränkungen der freien Meinungsäußerung, die über den Schutz der Grundrechte eines anderen hinausgehen, sind inakzeptabel. Eine freie Kommunikation über digitale Netzwerke ist sicherzustellen. Eine (direkte oder indirekte) Filterung des Internets durch staatliche Stellen hat zu unterbleiben. Infrastrukturmonopole sowie die Diskriminierung einzelner Nutzer gilt es zu bekämpfen.
Dies bedeutet, dass das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung auch im Internet gewahrt bleiben muss. Um diesem Bestreben Ausdruck zu verleihen, sind digitale Netzwerke explizit in den Artikel 5 (Meinungsfreiheit) des Grundgesetzes aufzunehmen. Bestehende Bestrebungen zu einer Privatisierung der Rechtsdurchsetzung im Internet – wie etwa mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz geschehen – sind einzustellen und stattdessen Strafverfolgungs- und Justizbehörden personell besser auszustatten.
Recht auf Privatsphäre
Das Recht auf Privatsphäre beinhaltet die Rechte auf Vertraulichkeit, Anonymität und informationelle Selbstbestimmung. Es dient dem Schutz des Einzelnen vor Missbrauch durch Mächtige und nicht dazu, eine Person von der Verantwortung für ihr Handeln zu entbinden.
Dies bedeutet, dass bestehende Rechte auf Auskunft, Korrektur, Sperrung oder Löschung personenbezogener Daten auszubauen sind, um das Rechte des Einzelnen auf informationelle Selbstbestimmung zu stärken. Hierfür ist auch die Rolle der Datenschutzbehörden in Zeiten von Big Data zu stärken. Die verdachtsunabhängige Speicherung von Telekommunikationsdaten sowie der staatliche Handel mit Meldedaten ist umgehend einzustellen.
Transparenz und Mitbestimmung
Jeder Bürger hat das Recht, in Entscheidungen, die seine eigenen Angelegenheiten beeinflussen, einbezogen zu werden. Hierfür sind Formen der direkten Demokratie auf allen politischen Ebenen zu stärken. Außerdem hat jeder das Recht zu erfahren, wie und auf welcher Grundlage politische Entscheidungen getroffen werden. Nur die Transparenz in Politik und öffentlicher Verwaltung verleiht jedem die Kraft, die Mächtigen zu kontrollieren.
Dies bedeutet, dass Möglichkeiten bundesweiter Volksbegehren und Volksentscheide hergestellt werden müssen. Insbesondere müssen die Bürger an Verfassungsänderungen und der Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union zwingend beteiligt werden. Zudem sollen die Bürger die Möglichkeit bekommen, beschlossene Gesetze vor Inkrafttreten per Volksentscheid zu stoppen. Einflussnahmen auf politische Entscheidungsträger sind durch ein Lobbyregister ebenso transparent zu machen wie die Nebeneinkünfte von Parlamentariern. Letztgenannte sind vor dem Wechsel in die Wirtschaft zur Einhaltung von Karenzzeiten zu verpflichten. Zur Aufdeckung von Missständen ist zudem ein gesetzlicher Schutz von sogenannten Whistleblowern zu verankern.
Für meinen Wahlkreis
Das Gefühl von Heimat gibt Kraft und Rückhalt. Als stolzer Brandenburger kenne ich dies nur zu gut. Auch wenn es mich aus beruflichen Gründen derzeit in das turbulente Berlin verschlagen hat, genieße ich entgegen meines ungeduldigen Naturells die Ruhe und Gemächlichkeit des nördlichen Brandenburgs. Hier komme ich her und für die Menschen hier möchte ich mich besonders einsetzen.
Für die wirtschaftliche Entwicklung meiner Heimat erachte ich den Breitbandausbau als wichtigste Aufgabe, vor allem im dünner besiedelten Nordteil meines Wahlkreises. Entsprechende Datenleitungen und finanzielle Förderungen für Unternehmensgründer vorausgesetzt, könnte das nächste erfolgreiche Start-Up-Unternehmen in einer zunehmend globalisierten Welt auch aus Gransee, Fürstenberg oder Zehdenick kommen.
Tourismus entwickelt sich zunehmend zu einem größeren Standbein Brandenburgs. Um diesen in einem Flächenland nachhaltig zu fördern, verdient auch die klassische Infrastruktur auf der Straße, Schiene und zu Wasser verstärkte Beachtung. Erneuerbare Energien sind für den Erhalt der wunderschönen Brandenburger Landschaft besonders wichtig. Zugleich darf die landschaftliche Kulisse auch nicht durch den übermäßigen Bau von Windkraftanlagen Schaden nehmen.
Der demografische Wandel stellt vielfältige Anforderungen an unsere Heimat. Ein zeitgemäßer öffentlicher Personennahverkehr, Barrierefreiheit und zufriedenstellende medizinische Versorgung müssen auch im ländlichen Raum dauerhaft sichergestellt werden. Hierzu bedarf es größerer Anstrengungen des Bundes. Auch in der Bildung, die bedauerlicherweise noch immer weitestgehend in der Hoheit der Länder liegt, muss ein ausreichendes schulisches Angebot auch in dünner besiedelten Gegenden gewährleistet sein. Durch finanzielle Anreize beim Eigenheimkauf kann zudem der Zuzug junger Familien in den vom demografischen Wandel besonders betroffenen Regionen gefördert werden. Demgegenüber benötigt der sogenannte „Speckgürtel“ womöglich schon bald Maßnahmen zum Milieuschutz, um Wohnraum auch für alteingesessene Brandenburger bezahlbar zu halten.
Für meine Heimatstadt Oranienburg möchte ich dafür kämpfen, dass der Bund endlich einen Großteil der Kosten für die Entschärfung alliierter Fliegerbomben aus dem 2. Weltkrieg übernimmt. Derzeit zahlen nur Stadt und Land die Rechnung für einen Krieg, den ganz Deutschland begonnen hat.
Als Nachfahre von in Frankreich verfolgten Hugenotten, die einst in Preußen eine neue Heimat fanden, setze ich mich in der Flüchtlingspolitik für eine menschenwürdige Unterbringung ein. Die Kosten hierfür sowie die schnelle Rückführung abgelehnter Asylbewerber muss jedoch meiner Auffassung nach der Bund und nicht die Kommunen tragen, da nur er Einfluss darauf nehmen kann, wie viele Menschen zu uns kommen. Gleichzeitig muss klar sein, dass nur tatsächlich politisch Verfolgte ein Recht auf Asyl genießen. Wer vornehmlich aus wirtschaftlichen Gründen den Weg nach Deutschland antritt, kann sich nicht auf das Asylrecht berufen. Daher brauchen wir eine schnellere Entscheidung darüber, wer asylberechtigt ist und wer nicht. Einen entsprechenden Antrag sollte man bereits in den Herkunftsländern stellen können, damit Menschen ohne Bleibeperspektive gar nicht erst den gefährlichen Weg nach Europa antreten. Für diese Menschen brauchen wir ein Einwanderungsgesetz, welche den Interessen unseres Landes Rechnung trägt und vor allem klare Regeln und Anforderungen an jene Menschen stellt, die dauerhaft zu uns kommen möchten.
Und warum ausgerechnet die Piraten?
Ich war schon immer ein eher technikaffiner Mensch und habe mich bereit in der Kindheit für die Informatik interessiert. In meinem Studium lernte ich jedoch nicht nur die Chancen der Informationstechnologie, sondern auch die nicht immer positiven gesellschaftlichen Auswirkungen moderner Technik kennen. Diese Erfahrung fiel für mich zeitlich mit dem geplanten Zugangserschwerungsgesetz der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen zusammen. Dieses Gesetz, welches vorgab Kinderpornografie bekämpfen zu wollen, tatsächlich aber eine Zensurinfrastruktur für das Internet etabliert hätte, hat mein ohnehin schon starkes Interesse für Politik geweckt und mich für die Piratenpartei begeistert. Mir imponierte es, wie diese kleine, noch sehr junge Partei sich aus prinzipiellen Erwägungen gegen dieses Gesetz wandte, auch wenn sie dafür als vermeintlicher Unterstützer von Pädophilen geschmäht wurde. Seit dem sind nunmehr beinahe acht Jahre ins Land gegangen, in denen sich die Piratenpartei nicht unbedingt zum Vorteil entwickelt hat. Um es unumwunden zu sagen: Wir haben viele Wähler enttäuscht, weil wir uns inhaltlich von unserem Kern wegbewegt und damit auch einige unserer Grundsätze nicht mehr konsequent durchgehalten haben. Dafür sind wir bei den vergangenen Wahlen brutal abgestraft worden. Ich glaube aber weiter an die Richtigkeit vieler piratiger Ideen und möchte mich auch weiterhin nach Kräften für diese einsetzen – auch weil ich nachwievor keine andere Partei sehe, die dies tun würde. Folglich kam für mich ein Parteiwechsel auch nicht in Frage, weil ich für grundlegende Prinzipien kämpfen möchte und nicht vorrangig um politische Ämter. Als Abgeordneter würde ich mich überall dort, wo ich diese Prinzipien verletzt sehe, stets zum auf die Freiheit des Mandats berufen und meine Entscheidungen „nach bestem Wissen und Gewissen“ zum Wohle der Allgemeinheit fällen.
Fragen offen geblieben?
Gerne können Sie mich bei Fragen persönlich kontaktieren. Darüber hinaus biete ich die Möglichkeit an, mir über Twitter oder Abgeordnetenwatch öffentlich Fragen zu stellen.
Zur Person
Thomas Ney, 1986 in Hennigsdorf geboren und in Oranienburg aufgewachsen. Abgeschlossenes Master-Studium der Informatik und Geschichtswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Parallel dazu berufliche Tätigkeiten als Systemadministrator, Web- und Datenbankentwickler. Seit 2015 im Lehrdienst des Landes Berlin tätig. Seit 2014 im Vorstand der Piraten Oberhavel, seit Januar 2017 Vorsitzender des Kreisverbandes. Darüber hinaus ehrenamtliche Tätigkeiten im Vorstand des Sportvereins VSV Havel Oranienburg e. V.
Der Wahlkampf ist beendet, die Wahllokale haben geschlossen, vorläufige Ergebnisse wurden bekannt gegeben. Demnach landete die die Piratenpartei in Berlin bei 1,7 Prozent und verfehlt den Wiedereinzug ins Abgeordnetenhaus damit deutlich. Somit ist die erste von vier Piratenfraktionen vorerst Geschichte. Zeit sich an die Ursachenforschung zu machen.
tl;dr: Mehrere Bundesministerien haben dem sogenannten „Hatespeech“ im Internet den Kampf angesagt. Mit Unterstützung ausgerechnet der von einer ehemaligen Stasi-Mitarbeiterin geführten Amadeu-Antonio-Stiftung, welche auch linksradikale Antideutsche beschäftigt, sollen Betreiber Sozialer Netzwerke zur Löschung „unangemessener Beiträge“ angehalten werden. Die Definition dessen, was „Hatespeech“ ist, ist vage und wirkt bisweilen tendenziös. Neben eindeutig strafbewehrten, werden darunter auch Aussagen gefasst, die klar von dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sind. Eine rechtliche Grundlage hierfür gibt es nicht. Statt sich klar gegen diese Einschränkung der Meinungsfreiheit zu positionieren, verharrt die Piratenpartei weitestgehend in Untätigkeit.
„Ich missbillige, was Sie sagen, aber ich werde bis zum Tod Ihr Recht verteidigen, es zu sagen.“
Evelyn Beatrice Hall
Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten […]. Eine Zensur findet nicht statt.
So regelt es Artikel 5 des Grundgesetzes. Diese Rechte finden – so bestimmt es der Artikel weiter – ihre Schranken nur in allgemeinen Gesetzen und dem Recht der persönlichen Ehre. Entsprechend kennt das deutsche Recht eine Vielzahl von Paragraphen, die die Grenzen dieses Grundrechts definieren: Volksverhetzung (§ 130 StGB), Beleidigung (§ 185 StGB), üble Nachrede (§ 186 StGB) und Verleumdung (§ 187 StGB), sowie der Aufruf zur Straftat (§ 111 StGB) sind nur einige der Straftatbestände, die die Überschreitung der Meinungsfreiheit sanktionieren.
Im Kontext der Flüchtlingsdebatte geistert ein weiterer, ursprünglich aus den USA kommender Begriff durch den politischen Diskurs: „Hatespeech“, zu Deutsch Hassrede. Mit ihm sollen auch jene Meinungsäußerungen erfasst werden, die zwar möglicherweise nicht strafbar, aus Gründen der politischen Korrektheit aber dennoch unerwünscht sind, etwa weil sie Elemente einer gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit
enthalten könnten. Gleich mehrere Bundesministerien wenden sich seit neuestem dem „Kampf gegen Hatespeech“ zu. Mit der Durchführung beauftragt wurde u. a. die Amadeu-Antonio-Stiftung. Sie soll mit einer „Taskforce“ Betreiber Sozialer Netzwerke im Umgang mit Hassreden beraten und allgmeine Löschempfehlungen aussprechen.
„Wir sprechen uns gegen Hatespeech aus, egal ob strafbar oder nicht. Jeder darf seine Meinung äußern, aber sachlich und ohne Angriffe.“
Kampf gegen nicht strafbare Äußerungen? Kritiker befürchten, dass durch die Kampagne die Grenzen der Meinungsfreiheit schleichend verschoben und nicht nur unzulässige, sondern auch anderweitig missliebige Meinungen (wie etwa die Kritik an der Flüchtlingspolitik der Regierung) diskreditiert werden sollen.
Wer sagt, was „Hatespeech“ ist?
Einer der Hauptkritikpunkte am geplanten Vorgehen gegen sogenannten „Hatespeech“ ist dessen Unbestimmtheit. Die vom Bundesfamilienministerium geförderte Broschüre besagter Amadeu Antonio Stiftung verzichtet bewusst auf eine präzise Begriffsbestimmung und vermerkt lediglich:
„Die Frage, was Hate Speech eigentlich ist, bleibt umstritten. Eine feste Definition oder gar ein Katalog an Wörtern kann es nicht geben, da Hate Speech nicht aus dem jeweiligen Kontext gelöst werden kann.“
Broschüre der Amadeu-Antonio-Stiftung
„Hatespeech“ sei demnach zwar kein juristischer, sondern ein politischer Begriff, weise aber Bezüge zu juristischen Tatbeständen
auf. Assoziationen zu unrühmlichen Epochen deutscher Geschichte drängen sich auf. Mehr als einmal mündete die zu enge Verbindung von Politik und Justiz in Bezug auf die Meinungsfreiheit mit fatalen Folgen in eine Gesinnungsjustiz. So wurden beispielsweise in der DDR „diskriminierende Schriften“ als „staatsfeindliche Hetze“ bestraft. Durch die bewusst weite Fassung dieses Rechtsbegriffes wurden darunter all jene Äußerungen subsummiert, die den Alleinherrschaftsanspruch der SED in Frage stellten. Auch hinter der Bekämpfung von „Hatespeech“ steht heute eine politische Agenda. So soll durch sie eine gute Debattenkultur […] aktiv geschaffen werden
. Was gut ist, definieren die Autoren der Broschüre selbst durch eine Reihe von Negativbeispielen. Wird demnach eine Aussage als „Hatespeech“ identifiziert, so soll diese zur Anzeige gebracht oder – wenn eine strafrechtliche Ahndung nicht möglich ist – den Betreibern sozialer Netzwerke gemeldet und von diesen anschließend gelöscht werden. Im Netz rät die Stiftung im Zweifel immer zur Anzeige. Eine Anzeige zu viel, ist besser als eine zu wenig
.
Auf diese Weise soll Druck auf die Betreiber Sozialer Netzwerke ausgeübt werden, auch Inhalte zu löschen, gegen die nach geltendem Recht keine Handhabe besteht. Und da er dies mangels rechtlicher Grundlage nicht selbst tun kann, beauftragt der Staat eine private Stiftung mit der Durchführung der Kampagne. Formal wird die Stiftung nur „beratend“ im Rahmen einer „Taskforce“ tätig. Gleichzeitig erhöht Justizminister Maas den Druck auf Facebook und Co., den Empfehlungen der „Taskforce“ nachzukommen. Die eigentliche Löschung erfolgt dann vom Betreiber selbst mit Verweis auf dessen Nutzungsbedingungen. Der missliebige Beitrag ist weg, ganz ohne rechtsstaatliches Verfahren. Ein wirksamer Einspruch ist in aller Regel nicht möglich. Insgesamt handelt es sich also um ein hochgradig intransparentes Verfahren.
Gegen wen sich dieses Vorgehen vornehmlich richten soll, wird im weiteren Verlauf der Broschüre deutlich:
„In Zeiten von Sozialen Medien und einer ausgeprägten Forenkultur dient das Netz nicht nur als Ort des Austausches, sondern auch für Verabredung und Planung konkreter Aktionen und rechtsextremer Überfälle. Neonazis haben das Netz schon früh als ideales Werkzeug für Vernetzung, Propaganda und Rekrutierung entdeckt. Hate Speech ist ein Mittel organisierter Rechter, um die ideologische Deutungshoheit für sich zu gewinnen und Solidarisierungseffekte zu provozieren, die nicht originär rechte Bürger_innen einfangen sollen.“
Broschüre der Amadeu-Antonio-Stiftung
Vorweg zu sagen ist, dass die Anstiftung, Beihilfe und Billigung von Straftaten selbst strafbar sein können und unbedingt zu verfolgen sind. Auch geht es nicht um die Legitimierung extremistischer Aussagen. Die starke Fokussierung auf rechtsextreme Äußerungen war angesichts der bisherigen, durchaus unterstützenswerten Aktivitäten der Stiftung nicht verwunderlich. Das hier beschriebene Nutzungsverhalten ist jedoch keineswegs nur für das politisch rechte Spektrum charakteristisch, sondern wird von Linksextremisten gleichermaßen genutzt. Diese werden aber an keiner Stelle adressiert, wohingegen rechte (nicht zwangsläufig rechtsextreme) Aussagen pauschal von „Hatespeech“ umfasst werden sollen. Diese einseitige Fokussierung auf rechte Propaganda steht dabei im Widerspruch zu einer Aussage an anderer Stelle der Broschüre:
„Der Staat kann [Meinungsäußerungen] untersagen, sofern er sich hierzu ‚allgemeiner‘ Gesetze bedient. Allgemein sind in diesem Sinn solche Gesetze, die sich nicht gegen eine bestimmte Meinung richten, die also meinungsneutral sind. […] Verböte ein Gesetz hingegen (hypothetisch) einseitig die Verbreitung linksextremer politischer Ansichten, so wäre dieses Gesetz nicht allgemein und damit verfassungswidrig.“
Broschüre der Amadeu-Antonio-Stiftung
An dieser Stelle sei lediglich auf die unterschiedliche Bewertung rechts- und linksextremer Aussagen hingewiesen. Das von der Stiftung gewählte Beispiel müsste im Umkehrschluss auch für die Verbreitung rechtsextremer Ansichten gelten. Selbstverständlich kann beides nicht im allgemeinen Interesse liegen. Ebensowenig geht es darum, rechtsradikale Inhalte zu legitimieren.
Entscheidend ist, dass es sich nach Auffassung der Stiftung eben nicht einmal um extremistische Inhalte handeln muss. Auch vermeintlich rationale Aussagen, die ganz klar außerhalb des justiziablen Bereichs liegen
können problematisch sein, weil sie etwa mit falschen Fakten rechter Propaganda in die Hände spielen.
Ein Beispiel für derart problematische Aussagen findet sich auf der Webseite der Stiftung:
„[…] Im Alltag schwerer zu erkennen sind aber Fälle, in denen die Aussage selbst zunächst harmlos oder sogar positiv wirkt, und die Hassrede Teil einer zum Verständnis der Äußerung notwendigen stillschweigenden Grundannahme ist. […] Politische Gruppen verwenden diese Strategie der impliziten Hassrede häufig: Wenn eine Partei etwa ständig betont, dass Migrant/innen willkommen seien, ‚solange sie sich an unsere Gesetze halten‘, ist dies ja zunächst eine fast schon trivial harmlose Aussage, denn selbstverständlich sollen sich alle Menschen an Gesetze halten. Die Aussage wird aber dadurch zu einer Verunglimpfung von Migrant/innen, weil sie nur dann einen Sinn ergibt, wenn wir annehmen, dass Migrant/innen sich normalerweise nicht an Gesetze halten. […]“
Mit einem derartigen Verständnis ließe sich aktuell beinahe jeder Vorbehalt gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung als „Hatespeech“ qualifizieren.
Bemerkenswerter ist jedoch, dass sich die Stiftung – wie dargelegt – auch gegen Meinungsäußerungen richten will, von deren Zulässigkeit sie zweifelsfrei überzeugt ist. So gestehen die Autoren selbst ein, dass das deutsche Recht nur zwischen zumlässigen und nicht zulässigen Meinungsäußerungen unterscheidet. Demnach ist aber jede nicht explizit verbotene Meinungsäußerung gestattet. Das Bundesverfassungsgericht hat diese besondere Bedeutung der Meinungsfreiheit in unzähligen Urteilen hervorgehoben. Für den Schutz durch Artikel 5 des Grundgesetzes sei es unerheblich, ob eine die geäußerte Meinung ‚wertvoll‘ oder ‚wertlos‘, ‚richtig‘ oder ‚falsch‘, emotional oder rational begründet ist
(BVerfG 1 BvR 389/90). Die Meinungsfreiheit schütze nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen. Kritik [darf] auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen
(BVerfG 1 BvR 2646/15). Vielmehr sei Meinung, auch die von etwa herrschenden Vorstellungen abweichende, schutzwürdig
(BVerfG 2 BvR 41/71).
Somit hat das Bundesverfassungsgericht eben jene, von der Stiftung erhobenen Ansprüche an eine zulässige Meinungsäußerung verworfen. Dessen waren sich auch die Autoren offenbar bewusst. Folglich stellt sich die Stiftung mit ihren Aktivitäten bewusst gegen zulässige Ausprägungen der freien Meinungsäußerung. Geht es also mit verfassungsfeindlichen Mitteln gegen Verfassungsfeinde? Etwas überspitzt könnte man fragen:
Die Amadeu-Antonio-Stiftung – eine verfassungsfeindliche Organisation?
Bei der näheren Betrachtung der Stiftung seien nur einige wenige Punkte herausgegriffen. Seit ihren jüngsten Aktivitäten befindet sich die Stiftung jedoch unter verstärkter Beobachtung, sodass der interessierte Leser durch eine einfache Internetrecherche sicher auf weitere Fakten stoßen wird.
Verfasst wurde die hier vielzitierte Broschüre von Julia Schramm. Die selbsternannte Internet-Exhibitionistin arbeitete zunächst für die FDP, saß zeitweilig im Bundesvorstand der Piratenpartei und unterstützt neuerdings die Linkspartei. Schramm, die sich selbst als Marxistin bezeichnet, ist Anhängerin der radikalen Linken und wird zum Kreis der sogenannten Antideutschen gezählt. In die Kritik geriet sie unter anderem für zahlreiche beleidigende, zum Teil menschenverachtende Beiträge im Kurznachrichtendienst Twitter. So huldigte sie unter anderem Royal-Air-Force-Offizier Arthur Harris für die Bombardierung Dresdens:
„Sauerkraut, Kartoffelbrei – Bomber Harris, Feuer frei!“
Julia Schramm via Twitter
(Der Beitrag wurde inzwischen von ihr gelöscht. Ein Screenshot findet sich oben.)
Klarer Hatespeech sollte man meinen. Aber mit etwas Bigotterie findet sich für diese problematische Aussage eine passende Rechtfertigung:
„Rassismus gegen Weiße […] hat jedoch keine gesellschaftliche Dimension. Entsprechend fallen abwertende Aussagen über Weiße (z.B. ‚Kartoffel‘) nicht unter Hate Speech, da ihnen schlicht die gesellschaftlichen Konsequenzen fehlen.“
Zumindest beim Bundesministerium des Innern sah man das etwas anders und reagierte mit einer butterweichen, am Ende folgenlosen Distanzierung:
„In einigen Tweets haben sie uns auf Äußerungen einer Mitarbeiterin der Stiftung, die die o. a. Broschüre verfasst hat, aufmerksam gemacht. Einige der von ihr verfassten Tweets überschreiten tatsächlich auch für uns die Grenze zur Hassrede. Von diesen Aussagen distanzieren wir uns.“
Frau Schramm ist allerdings nicht die einzige kritische Personalie der Stiftung. An ihrer Spitze steht Anetta Kahane. Die 1954 in Ost-Berlin geborene Journalistin arbeitete von 1974 bis 1982 als inoffizielle Mitarbeiterin des Ministeriums für Staatssicherheit. Während dieser Zeit berichtete sie ehrlich und zuverlässig
und belastete dutzende Personen aus ihrem persönlichen Umfeld. Am Ende umfasste ihre IM-Akte knapp 800 Seiten. Mit ihrer Stasi-Vergangenheit konfrontiert, ließ sie 2012 ein Gutachten durch den Historiker Helmut Müller-Enbergs anfertigen, ob Dritten durch ihre Kontakte zum MfS Nachteile entstanden seien. Auf Grundlagen der von Kahane selbst vorgelegten Unterlagen, konnte dieser hierfür keine Indizien feststellen. Von ihren Unterstützern wird dies fälschlicherweise stets als Entlastung gewertet, da Kahane schließlich „niemandem geschadet“ habe. Das hält das Gutachten aber gar nicht fest. De facto konnte Kahane zum Zeitpunkt der Berichte gar nicht wissen, ob Dritten hierdurch Nachteile entstehen, da prinzipiell jede Information für das MfS von Nutzen sein konnte. Sie nahm dies billigend in Kauf. So hält auch das Müller-Enbergs-Gutachten fest, dass Informationen, gleich – welcher Art und Umfang – per se das Risiko enthalten konnten, Dritte zu benachteiligen
. Die bloße Existenz des Ministeriums für Staatssicherheit hatte indes gesellschaftliche Folgen für die Menschen in der ehemaligen DDR. Als „Schild und Schwert der Partei“ sicherte es die SED-Diktatur. Und Kahane war Teil dieses Systems. (Kahane ist im Übrigen nicht die einzige Personalie der Stiftung mit Geheimdiensterfahrung. So sitzt der Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz von Thüringen im Stiftungsrat.)
Trotz allem ist die Stiftung in der Politik scheinbar gut vernetzt. So finden sich im Internet zahlreiche Berichte, die auf das geringe Stiftungskapital verweisen, welches eine eigenständige Arbeit eigentlich gar nicht ermögliche (Näheres zu den Finanzen der Stiftung hat der Rechtsanwalt und Steuerberater Ansgar Neuhof zusammengetragen. [1] [2]). Vielmehr profitiere die Stiftung von umfangreichen Zuwendungen der öffentlichen Hand und sei fast vollständig von diesen Projektförderungen abhängig. Zum Teil erhält die Stiftung diese auch auf fragwürdige Art und Weise zugesprochen. Es wäre also zu fragen, ob hierbei nicht eine Art mittelbares Staatshandeln im privatrechtlichen Bereich vorliegt. In anderen Bereichen hat die Justiz dieser Flucht ins Privatrecht bereits eine Absage erteilt. Wohl auch deshalb scheut sich das Justizministerium, eine allzu große Nähe zur Stiftung einzugestehen.
Auch in den Medien scheint die Stiftung gut vernetzt und hat vor allem in Journalistenkreisen einige Unterstützer. Als Beispiel sei hier Matthias Meisner genannt, der in einem Artikel im Tagesspiegel die Stiftung gegen jedwede Kritik in Schutz nahm. Vielmehr sei diese durch ihr Engagement gegen Rassismus und Gewalt in den Fokus Rechtsextremer geraten und sehe sich zu Unrecht einer Hetzkampagne ausgesetzt. Die Angriffe auf Kahane seien häufig antisemitisch
motiviert, beklagt in dem Artikel auch Stiftungsgeschäftsführer Timo Reinfrank und versucht damit Kritik an ihrer Person unmöglich zu machen.
Sicherlich finden sich unter den Kritikern der Stiftung auch zahlreiche Rechte und sogar Rechtsextreme. Deren Kommentare stehen der Menschenverachtung einer Julia Schramm in keiner Weise nach und sind ebenso verachtungswürdig. Für Meisner genügt dies allerdings, um jegliche Kritik an der Arbeit der Stiftung zu delegitimieren und sich grundsätzlich nicht mit Gegenargumenten auseinander zu setzen. Meisner verkennt damit, dass die Stiftung keineswegs nur von rechter Seite kritisiert wird. Und selbst wenn dem so wäre: Grundsätzlich ist es völlig unerheblich, von welcher Seite Kritik hervor gebracht wird, solange sie inhaltlich gerechtfertigt ist. Doch auf die inhaltlichen Punkte geht Meisner mit keinem Wort ein. Und auch für die Frankfurter Rundschau, zugleich Arbeitgeberin von Stiftungschefin Kahane, sind ihre Kritiker ausschließlich rechte Verschwörungstheoretiker
.
Gegen Kritiker geht die Stiftung allerdings auch selbst vor und verlangte vom ZDF die Löschung eines satirischen Beitrags von Achim Winter in der Sendung „Hallo Deutschland“. Die Zensurbemühungen richteten sich zu allererst gegen die eigenen Kritiker. Kein guter Auftakt.
Kuschelige Piraten
Abschließend noch ein paar Worte zur Rolle der Piratenpartei in dieser Causa. Nun mag man sich fragen, inwieweit die Rolle einer Partei, die derzeit in den Umfragen bestenfalls zwischen einem und zwei Prozent steht, überhaupt relevant ist. Aber bei Themen wie Meinungsfreiheit und Zensur (speziell im Internet) geht es um den Markenkern der Partei, die quasi „im Internet geboren“ wurde.
Mit den Piraten richtig in Kontakt kam ich 2009 im Kontext des sogenannten „Zugangserschwerungsgesetzes“ von „Zensursula“ von der Leyen. Damals wollte die Bundesregierung eine Zensurinfrastruktur errichten, um die Verbreitung kinderpornografischen Materials zu erschweren. Die Piraten standen seinerzeit in den Umfragen nicht wesentlich besser da als heute. Was mir aber an den Piraten von 2009 imponierte, war, dass sie das Rückgrat besaßen auch dann zu ihren Überzeugungen zu stehen, wenn sie sich hierfür massiven Anfeindungen ausgesetzt sahen. Weil für diese Partei der Zweck eben nicht automatisch die Mittel heiligte. Das wirkte anziehend. Auf mich und viele andere.
Und heute? Hat der Meisner-Effekt die Partei voll erwischt. Wir wollen bloß nicht auf der „falschen“ Seite stehen – schon gar nicht auf einer Seite mit der AfD! Dafür ist man bereit, notfalls auch die eigenen Prinzipien zu verraten oder zumindest nicht mehr offensiv zu vertreten. Plötzlich – so scheint es – gelten Grundrechte nicht mehr gleichermaßen und vorbehaltslos für jeden. Und aus „nicht immer nett, aber immer ehrlich“ wurde #flausch. Bloß nicht anecken und schön im Fahrwasser des Mainstreams bleiben.
Die Piraten entstammen aber der Netz- und Nerdszene. Da konnte der Umgangston schon immer etwas rauer sein, solange die Fakten bzw. Informationsgehalt stimmten. Ansonsten galt: dftt. Dort kämpften Chaoten wie die Anhänger von Anonymous für Meinungsfreiheit und gegen jede Form der Zensur und erhielten dafür eine breite Anerkennung. Wir waren mal der politische Arm dieser Szene. Das waren doch unsere Leute! Aber wir haben den Kontakt zu dieser, unserer Basis verloren. Und die Protestwähler, die wir 2011 mit Ehrlichkeit noch ziehen konnten, sind weitergezogen. Ausgerechnet zur AfD – die sich zwar teilweise unserer Methoden bedient, aber inhaltlich fast nichts mit unseren Zielen gemein hat. Dabei hätte genau das unser Thema sein können, mit dem wir uns auch wohlwollend vom politisch korrekten Kuschelkurs der Etablierten hätten absetzen können. Eine vergebene Chance. Wieder einmal. Es ist frustrierend.
Update: Inzwischen hat sich der Bundesvorsitzende der Piratenpartei in einem kurzen Statement zur Sache geäußert. Auch er lehnt die Initiative als Einschränkung der Meinungsfreiheit ab, ohne jedoch bezüglich der Gründe näher ins Detail zu gehen. Meines Kenntnisstandes nach ist dies die einzige offizielle Parteiäußerung zu diesem Thema, weshalb ich meine Kritik am Vorgehen der Partei im Wesentlichen aufrecht erhalte. Diese gilt nicht ausschließlich dem Bundesvorstand, sondern auch allen höheren Gliederungen. Zwar habe ich viele kritische Stimmen unter Piraten vernommen. Allerdings hat es (mit der genannten Ausnahme) keine davon zeitnah auf ein offizielles Parteimedium geschafft. Dies halte ich nach wie vor für ein Armutszeugnis angesichts unserer Ursprünge.
Zum Weiterlesen:
- „Meine Feinde verteidigen“ – Hassrede gegen Meinungsfreiheit vom Piraten Niels-Arne Münch auf Telepolis (24.07.2016)