Am 27.02.2022 sprach Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundestag von einer „Zeitenwende“. Heute, knapp vier Monate später, muss man daran zweifeln, ob er selbst verstanden hat, was diese bedeutet.

Egal wie der Krieg in der Ukraine ausgeht: Die EU wird danach eine andere sein. Osteuropäischer, transatlantischer und weniger deutsch-französisch. Während die Lage in der Ukraine noch offen ist, stehen Berlin und Paris als Verlierer des Krieges schon beinahe fest.

Wenn die Ukraine gewinnt, dann nicht wegen deutscher Hilfe, sondern trotz der Verweigerungshaltung des Bundeskanzlers. Die Bundesrepublik Deutschland ist mit seinen Rüstungskonzernen die viertgrößte Waffenschmiede der Welt. Auf den Höfen der Industrie hierzulande stehen hunderte ausrangierte Panzer und Schützenpanzer, die in den kommenden Wochen und Monaten zur Verteidigung der Ukraine eingesetzt werden könnten. Die Bundesregierung könnten zumindest einen signifikanten Beitrag dazu leisten, dass sich die Verhandlungsbedingungen über einen künftigen Frieden zugunsten der Ukraine verschieben – wenn der Kanzler nur wollte. Für die notwendigen Exportgenehmigungen fehlt lediglich die Unterschrift von Scholz.

Wenn die Ukraine den Krieg aber verliert, dann wird man in Nord und Ost der Bundesregierung, und damit der gesamten Bundesrepublik eine nicht unerhebliche Schuld daran geben. Mit allen politischen und auch wirtschaftlichen Folgen. Die Idee einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik dürfte dann endgültig gestorben sein. Die ost- und nordeuropäischen Länder werden ihre Sicherheit dann ausschließlich über die NATO, vor allem aber mit Hilfe der Amerikaner und Briten organisieren. Für sie stellt Russland eine existenzielle Bedrohung dar, in der man sich auf Deutschland und Frankreich nicht verlassen kann. Das dürfte auch die engen wirtschaftlichen Verflechtungen der hiesigen Industrie – gerade mit Osteuropa – empfindlich berühren. Russland als Partner hingegen wird auf absehbare Zeit Geschichte sein, politisch wie ökonomisch – ein “Obervolta mit Atomraketen”, wie Helmut Schmidt einmal gesagt haben soll. Aber selbst wenn man hierzulande versuchen sollte, wieder (wie nach 2014) enge wirtschaftliche Verbindungen aufzubauen, werden die Verbündeten Deutschlands dies zu verhindern wissen.

Auch wäre es naiv anzunehmen, es handle sich hierbei lediglich um eine kurzzeitige Verstimmung, oder gar nur das übliche Gemecker über das große und wirtschaftlich starke Deutschland. Nein, es droht eine dauerhafte, tektonische Verschiebung in der Europa-, Außen- und Sicherheitspolitik, an deren Ende Deutschland und Frankreich ein Fremdkörper im Herzen Europas sein könnten. Es ist fraglich, ob dem Bundeskanzler dies bewusst ist.

In einer Situation, in der Russland foltert, vergewaltigt, plündert, deportiert, ermordet, ja selbst Krankenhäuser und Kindergärten bombardieren lässt, Hunger und die darauffolgenden Flüchtlingsströme als Waffe einsetzt, ist Zögerlichkeit die schlechteste aller denkbaren Optionen. Die Geschlossenheit, die enge Abstimmung mit den Partnern, von denen Scholz immer wieder spricht – sie existiert bestenfalls in seiner Vorstellung. Es ist nur der Raison und der diplomatischen Höflichkeit unserer Partner zu verdanken, dass die Fehlwahrnehmung des Kanzlers noch nicht in vollem Umfang offenbar wird. Olaf Scholz führt die Bundesrepublik zunehmend auf einen Sonderweg – in die außenpolitische Isolation.

Diesen Beitrag teilen