Stadtverordneter für Oranienburg – hier privat.

Von der Villa im Grunewald ins Getto von Litzmannstadt – Die Geschichte des jüdischen Mühlenbesitzers Max Lazarus

Bild: Transportliste der Gestapo des III. “Osttransports” vom 29. Oktober 1941 von Berlin-Grunewald ins Getto Litzmannstadt. Mit den Nummern 144 und 145 aufgeführt: Max und Lotte Lazarus. (Quelle: Archiwum Państwowe w Łodzi, Signatur 39/278/0/18/1170, Bl. 72)

Eigentlich wollte ich mich nur etwas zur Geschichte des Oranienburger Speichers belesen. Dabei stieß ich auf einen Zeitungsartikel aus dem Jahr 2016, welcher mich letztlich auf eine zweimonatige Recherche (siehe unten) führte. Darin heißt es: “Nach 1918 ging die Anlage an das Mühlen-Imperium von Kurt Kampffmeyer über, der sie nachfolgend an den Kaufmann Max Lazarus veräußerte.” Also begab ich mich auf die Spuren von Max Lazarus.


Max Lazarus war einst ein wohlhabender Mann. 1881 in der beschaulichen 4000-Einwohner-Kleinstadt Hammerstein im heutigen Polen geboren, machte er sich vermutlich gegen Beginn des 1. Weltkrieges auf nach Potsdam. Nur wenige Jahre später zog er nach Berlin und gründete dort 1922 einen Getreide-, Lebens- und Futtermittelbetrieb. Anscheinend liefen die Geschäfte gut. Zumindest war Max Lazarus in den Folgejahren in Vorständen und Aufsichtsräten gleich mehrerer Gesellschaften tätig, darunter verschiedene Banken und Firmen aus dem Getreidegeschäft. In Berlin lernte er vermutlich auch seine spätere Ehefrau kennen. Die 1890 dort geborene Lotte war das jüngste von insgesamt sieben Kindern des Kaufmanns Hermann Hoffmann und wie Max Lazarus selbst jüdischer Religion. Beide heirateten 1914. Kurz darauf folgte die Geburt der zwei Kinder Ernst und Eva Susanne.

Um 1922 zog die Familie in den noblen Berliner Stadtteil Grunewald. Zu den künftigen Nachbarn gehörten vermögende Unternehmer, Bankiers und Künstler. Etwa zu der Zeit, als Familie Lazarus das Anwesen in der Königsallee 15 vom Major a. D. Erich von Michaëlis erwarb, wurde der Reichsaußenminister Walther Rathenau (der in der Hausnummer 22 lebte) in derselben Straße von Rechtsextremisten erschossen.

Etwa zu dieser Zeit erwarb Max Lazarus auch die Oranienburger Dampfmühlengesellschaft von der Kampffmayer-Gruppe, damals einem der größten Anbieter von Getreideprodukten. Zahlreiche weitere unternehmerische Tätigkeiten bis in die frühen 1930er Jahre folgten.

Im Dezember 1923 reisten Max und Lotte Lazarus gemeinsam mit einem befreundeten Ehepaar in der 1. Klasse mit dem Dampfschiff „Albert Ballin“ von Hamburg nach New York. Das nach dem jüdischen Reeder benannte Schiff der HAPAG sollte später auf Druck der Nationalsozialisten in „Hansa“ umbenannt werden. Auf Grund eines Maschinenschadens konnte sie am 30. Januar 1945 nicht zusammen mit der „Wilhelm Gustloff“ aus Gotenhafen auslaufen, um Flüchtlinge aus Ostpreußen Richtung Westen zu evakuieren. Anders als die Gustloff, welche nach einem sowjetischen U-Bootangriff mit über 10.000 Menschen an Bord in der eisigen Ostsee sank, erreichte die „Hansa“ am Folgetag unbeschadet Kiel.

Aber auch für die Familie Lazarus änderte sich das Leben mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten gravierend. Noch im Februar 1933 gründete Max Lazarus in Oranienburg mit einem Geschäftspartner eine Lager- und Getreidegesellschaft. Der Hintergrund dieser Gründung ist nicht zweifelsfrei geklärt. Womöglich änderte sich das Geschäftsfeld der Firma, nachdem die Oranienburger Dampfmühle – bis auf das Speichergebäude – im Jahre 1930 einem Großbrand zum Opfer fiel. Möglich ist aber auch, dass der Mühlenbesitzer auf Grund der „Arisierungsmaßnahmen“ der Nationalsozialisten gedrängt wurde, sein Eigentum an der Oranienburger Mühle samt Speicher in eine neue Firma mit mehreren Gesellschaftern zu überführen. Womöglich versuchte Max Lazarus aber auch selbst, somit zumindest einen Teil seines Vermögens vor dem unmittelbaren Zugriff der neuen Machthaber zu schützen. Was auch immer der Hintergrund dieser Gründung war: für den einst erfolgreichen Geschäftsmann rechnete sie sich nicht. Keine drei Monate nach der Gründung der GmbH wurde er als Geschäftsführer abberufen. Die Geschäfte liefen unter anderer Führung noch bis zum Kriegsende weiter. Sein ursprünglicher Betrieb, die „Oranienburger Dampfmühlen-Gesellschaft“ wurde 1938 mangels Vermögen gelöscht. Bereits ein Jahr zuvor war das Unternehmen „Max Lazarus“ in Berlin liquidiert worden. Auch seine Posten als Aufsichtsrat verschiedener Firmen hatte er inzwischen alle verloren.

Auch das häusliche Umfeld der Familie Lazarus blieb von dem Einfluss der Nationalsozialisten nicht verschont. Bereits um 1935 ließ Max sein Haus in der Königsallee vermutlich auf seine Frau Lotte umschreiben – zumindest wird sie ab dieser Zeit in den Adressbüchern Berlins als Hausvorstand geführt. Zusätzlich zu den Lazarus’ zogen dort in den Folgejahren zahlreiche weitere jüdische Familien ein. Offenbar war das Gebäude zu einem sogenannten „Judenhaus“ erklärt worden. 1940 wurden die beiden – wie die anderen jüdischen Hausbesitzer – zwangsenteignet. Das Haus mit der Nummer 15 fiel an die Hitlerjugend, in der Nachbarschaft zogen NS-Größen wie Joseph Goebbels und Hermann Göring ein. Max und Lotte – die seit 1939 zusätzlich die Vornamen „Israel“ bzw. „Sara“ führen mussten – hingegen zogen in eine Wohnung in der Motzstraße in Berlin-Wilmersdorf um.

Von dort aus wurden beide letztlich abgeholt und am 29. Oktober 1941 vom Bahnhof Grunewald ins Getto Litzmannstadt (das heutige Łodz) deportiert. Dort kamen sie einen Tag später an und bezogen im Getto eine Wohnung in der Reiterstraße 11. Die Transportliste des Deportationszuges, in der Max Lazarus aufgeführt ist, gibt ihn noch immer als „Gutsbesitzer“ an, auch wenn das Restvermögen der Lazarus’ inzwischen längst enteignet wurde und an die „Vermögensverwertungsstelle“ der Nationalsozialisten fiel. Auf der selben Transportliste ist handschriftlich vermerkt, dass seine Frau Lotte am 24. Januar 1942 verstorben sei. Das Krankenhaus im Getto notierte als Todesursache eine „Dickdarmkatarrh“, vermutlich ausgelöst durch die katastrophalen hygienischen Verhältnisse, die schlechte Ernährungslage sowie die mangelhafte medizinische Versorgung in Litzmannstadt. Darüber geben die Dokumente des „Ältesten der Juden von Litzmannstadt“, die heute im Staatlichen Archiv in Łodz lagern, Auskunft. Das weitere Schicksal der restlichen Familie ist hingegen ungewiss. Max Lazarus wurde aber vermutlich am 4. Mai 1942 in das NS-Vernichtungslager Kulmhof (bei Chełmno/Polen) weiter transportiert und dort unmittelbar nach der Ankunft ermordet.

Spuren deuten jedoch darauf hin, dass zumindest die Kinder Ernst und Eva Susanne die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten überlebten und 1939/40 nach Großbritannien bzw. in die USA entkamen. So heiratete Ernst 1948 in England die ebenfalls emigrierte Jüdin Rosalie Goldmann, ehe er im Herbst 1971 verstarb. Auch Eva heiratete 1961 mit Kurt Prager einen ehemals aus Deutschland geflohenen und später beim US-Militär gegen die Nazis kämpfenden Juden. Möglicherweise existieren aber auch noch lebende Nachfahren von Max und Lotte Lazarus, die bis heute nichts über das Schicksal ihrer Groß- oder Urgroßeltern wissen.


Leider handelt es sich bei dem vorstehenden Text nicht um Fiktion, sondern um eine deutsche – und auch Oranienburger – Geschichte, die beispielhaft für die Entrechtung, Verfolgung und Ermordung jüdischer Mitbürger in der Zeit des Nationalsozialismus ist. Ich habe Sie anhand von Quellen, die ich größtenteils aus dem Internet gewonnen habe, recherchiert. Sie weist noch immer viele Lücken auf. Insbesondere haben Max und Lotte Lazarus bis heute kein Gesicht, da es mir trotz intensiver Bemühungen bisher nicht gelungen ist, ein Foto der beiden aufzutreiben. Deshalb möchte ich mich als Stadtverordneter dafür einsetzen, dass die Geschichte des Ehepaars Lazarus weiter erforscht und ihrem Schicksal am Oranienburger Speicher eine Erinnerungstafel gewidmet wird.

Den bisherigen Stand meiner Recherche nebst Quellenangaben und Kommentierungen habe ich in einem separaten Dokument zusammengefasst. Da meine Recherchen weiter laufen, wird auch dieses Dokument regelmäßig aktualisiert. Vielleicht dient es ja auch anderen als Anstoß, die Geschichte von Max Lazarus und seiner Frau Lotte weiter zu erforschen. In diesem Fall würde ich mich freuen, über mögliche weitere Rechercheergebnisse informiert zu werden.

Mehr:

Diesen Beitrag teilen

Zurück

Sprache und Geschlecht: Mein Antrag in der StVV Oranienburg

Nächster Beitrag

Straßenbenennung am Aderluch – Versuch einer Versachlichung

Schreibe einen Kommentar zu 75. Jahrestag des Kriegsendes: Piraten beantragen weitere Erforschung der NS-Geschichte Oranienburgs – Piraten Oranienburg Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén