Stadtverordneter für Oranienburg – hier privat.

Sprache und Geschlecht: Mein Antrag in der StVV Oranienburg

Am 9. Dezember 2019 debattierte die Stadtverordnetenversammlung von Oranienburg eine Neufassung der städtischen Hauptsatzung. Neben einigen inhaltlichen Änderungen sah die Entwurfsfassung vor, künftig gegenderte Formulierungen mit schrägstrichgetrennter Nennung weiblicher und männlicher Personenbezeichnungen zu verwenden. Nach meinem Dafürhalten wurde die Lesbarkeit der Satzung hierdurch teilweise erheblich eingeschränkt. Daher reichte ich einen Antrag ein, wonach die Satzung wie bisher in der generisch maskulinen Form verfasst werden soll. Dieser Antrag erregte im Vorfeld einiges Aufsehen. So warf mir der „Arbeitskreis sozialdemokratischer Frauen“ (ASF) in einer Pressemitteilung eine „Rolle rückwärts“ sowie eine „Überforderung […] als Neuling […] im Parlament“ vor. Auch die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Oranienburg sah sich zu einer Stellungnahme genötigt.

In der Stadtverordnetenversammlung erhielt ich dann die Möglichkeit, meinen Antrag noch einmal öffentlich zu verteidigen. Die Rede, die ich diesbezüglich gehalten habe, möchte ich im Folgenden im Wortlaut wiedergeben. Der weitere Verlauf der Diskussion und das letzliche Ergebnis der Abstimmung wird im Anschluss an die Rede dargelegt.

Sehr geehrte Stadtverordnete,

angesichts der Irritationen, die mein Antrag offenbar hervorgerufen hat, erlauben Sie mir einige kurze Ausführungen zum Thema Sprache und Geschlecht.

Über die Hälfte der Sprachen der Welt kennt überhaupt kein grammatikalisches Geschlecht, also keinen Genus. Große Vertreter sind beispielsweise das Chinesische, Japanisch, Persisch und Türkisch. Würde man der Theorie folgen, dass das sprachliche Geschlecht eines Wortes einen Einfluss auf die gesellschaftliche Stellung der Frau habe, so müssten die zuvor genannten Länder bzw. Regionen eigentlich Vorreiter der Gleichberechtigung sein. Hiervon ist mir allerdings nichts bekannt.

Der Grund, warum im Deutschen in der Regel das maskuline Genus die allgemeine, also generische Form bildet, hat nichts mit dem biologischen Geschlecht des beschriebenen Objekts, dem sogenannten Sexus, zu tun, sondern mit der Ikonizität von Sprache. Dies bedeutet: Je spezieller das Beschriebene, desto ausführlicher dessen Beschreibung. Durch das Anhängen von Endungen erweitert, also spezialisiert sich die Information. Ein Beispiel: „Das Auto“ kann sowohl ein einziges Auto als auch die Gesamtheit aller sein. „Das Auto hat die Mobilität revolutioniert“. Ergänzt man ein „-s“, so wird deutlich, dass es sich grundsätzlich um mehrere Fahrzeuge handelt. Das Wort wird spezieller.

Ähnlich verhält es sich mit Bezeichnungen für weibliche Lebewesen. So sollte im Althochdeutschen das Wort „Freundin“ explizit ausdrücken, dass es sich um eine weibliche Person handelt. Gemeint war damit die Liebschaft zu einer Frau – im Gegensatz zu einer platonischen Freundschaft. Durch die Endung „-in“ wurde hier also die Bedeutung des Grundwortes „Freund“ erweitert. Der Umkehrschluss ist jedoch falsch. Das Rumpfwort „Freund“ behält seine Bedeutung bei und lässt weiterhin keinen Rückschluss auf das Geschlecht der bezeichneten Person zu. Oder anders ausgedrückt: Eine nicht-weibliche Person wird nicht automatisch männlich – ein Umstand, dem man übrigens mit der Einführung eines dritten Geschlechtseintrages Rechnung tragen wollte und der sich sprachlich in der vorliegenden Entwurfsfassung nicht wiederfindet. Insofern stellt diese aus Sicht der Gleichberechtigung sogar einen Rückschritt dar.

Generell haben Artikel im Deutschen nicht die Funktion, das biologische Geschlecht des bezeichneten Objekts zu definieren. Das Messer, aber die Gabel und der Löffel. Dagegen gibt es im Deutschen sogar Wörter, deren Artikel nicht eindeutig bestimmt ist. Der Socken oder die Socke? Der Schubkarren oder die Schubkarre? Vielmehr hängt das Genus von der Endung des Wortes ab, nicht vom Sexus des Objekts. Es legt fest, wie das betreffende Nomen dekliniert wird. So kennt die deutsche Sprache durchaus auch generische Feminina, wie etwa die Person oder die Majestät. Es gibt sogar Lebewesen, die zwar ein eindeutiges biologisches Geschlecht haben, deren sprachliches aber hiervon abweicht: Das Männchen oder das Weib. Nicht ohne Grund verzichten die meisten anderen germanischen Sprachen auf ein Femininum und verwenden ausschließlich generische Bezeichnungen. Zum Beispiel im Englischen. Dort gibt es überhaupt kein grammatikalisches Geschlecht. Wenn das biologische Geschlecht einer Person im sprachlichen Kontext von Interesse ist, so wird dieses auch explizit genannt oder stattdessen ein eigenes Wort hierfür verwendet: the king and the queen. Im Deutschen kennen wir dies vor allem aus dem Tierreich. Das Schwein, aber die Sau und der Eber. Der Kater hingegen ist eine männliche Katze, die Fähe aber ein weiblicher Fuchs.

Das generische Maskulinum ist im Deutschen also vielmehr geschlechtsabstrahierend und bezeichnet Personen, deren Geschlecht entweder nicht bekannt oder nicht von Bedeutung ist. Mehr noch: Es ist die Abstraktion aller Merkmale eines Menschen, deren konkrete Ausprägungen irrelevant sind. Also genau das, was unsere Satzung eigentlich ausdrücken soll.

Dies wird im allgemeinen Sprachgebrauch auch genau so verstanden. So würde wohl niemand annehmen, dass das Amt des Bürgermeisters, des Vorsitzenden der Stadtverordnetenversammlung oder des sachkundigen Einwohners ausschließlich von einer Person männlichen Geschlechts bekleidet werden könne, nur weil die verwendete Amtsbezeichnung grammatikalisch gesehen männlichen Geschlechts ist.

Die gewählte Form des Genderns indes wird in der Entwurfsfassung nicht konsequent angewendet. Anderenfalls müsste es auch „Einwohnerinnen- und Einwohnerfragestunde“ oder „Seniorinnen- und Seniorenbeirat“ heißen. Wollte man durchgehend beide Formen berücksichtigen, müsste das Amt des Bürgermeisters wohl künftig auch als „Bürgerinnen-und-Bürger-Meister/-in“ bezeichnet werden. Durch die derzeit gewählte Mischform kann jedoch vielmehr der Eindruck entstehen, bei bestimmten Bestimmungen, die sich nicht sinnvoll gendern lassen, seien Frauen explizit nicht gemeint – schließlich werden sie ja anderenorts besonders erwähnt. Der von Frau Bonk unterbreitete Vorschlag der Nutzung des Gendersternchens behebt das soeben skizzierte Problem ebenfalls nicht. Es ist – ähnlich wie die Verwendung eines Binnen-Is – lediglich der Versuch, im Lese- und Sprechfluss eine Art generisches Femininum zu erzeugen – nur mit dem Nachteil, dass diese Form aus den genannten Gründen eben gerade nicht generisch, da nicht ikonisch ist. Von der fehlenden Barrierefreiheit einmal ganz abgesehen.

Wenn Sie meinen vorherigen Ausführungen folgen konnten, so werden Sie aber feststellen, dass die praktizierte Methode, neben der generischen Form gleichzeitig ein Femininum zu verwenden, auch grundsätzlich unglücklich gewählt ist. So meint „Bürgerinnen und Bürger“ linguistisch betrachtet „Frauen und alle Menschen“ und ist somit in höchstem Maße diskriminierend. Oder will man den Frauen unter uns tatsächlich implizit das Menschsein absprechen? Keine gute Wahl, wenn der Anspruch doch eigentlich war, eine nichtdiskriminierende Lösung zu finden. Daher meine Bitte: Lassen Sie uns alle Personen als das betrachten, was sie sind: als Menschen – ganz gleich, welchem Geschlecht sie sich zuordnen mögen.

Insofern bin ich Frau Bonk dankbar für ihr Zitat Wittgensteins, wonach die Grenzen unserer Sprache die Grenzen unserer Welt bedeuten. Ich möchte es daher ebenfalls mit Wittgenstein halten, der hoffte, man möge seine Sätze – indem man sie verstehe – als unsinnig erkennen und damit metaphorisch die Leiter wegwerfen, indem man über sie hinwegsteige. Durch die künstliche Betonung des Geschlechts einer Person zementieren wir sprachlich vielmehr jene Unterschiede, die wir doch eigentlich gesellschaftlich überwinden wollen.

Zu meiner Überraschung verteidigte der Bürgermeister Alexander Laesicke im Anschluss an meine Rede meinen Antrag und nahm mich ausdrücklich gegen mögliche Vorwürfe in Schutz. Auch meine Fraktionsvorsitzende hielt im Anschluss eine kurze Rede, in der sie die Schärfe der Kritik an meinem Antrag ebenso kritisch bewertete. Auf Beschluss der Stadtverordnetenversammlung erhielt auch die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt, Frau Bonk, noch einmal die Möglichkeit, ihre Position darzulegen. Zudem hatten im Vorfeld mehrere Fraktionen einen gemeinsamen Antrag eingebracht, der ausdrücklich eine Schreibweise mit Gendersternchen vorsah. Wenngleich meine Rede insgesamt positiv aufgenommen und mir zumindest eine teilweise Zustimmung signalisiert wurde, hätte mein Antrag aller Voraussicht nach kaum Aussicht auf Erfolg gehabt. In der Diskussion stellte sich jedoch zumindest die Möglichkeit eines Kompromisses heraus. So wurde der Antrag der anderen Fraktionen auf eine geschlechtergerechte Formulierung dahingehend ergänzt, dass möglichst geschlechtsneutrale Formulierungen ohne Gendersternchen oder Doppelnennungen zu wählen seien. Als Grundlage schlug ich einen Leitfaden der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen vor, was auch von der Gleichstellungsbeauftragten Frau Bonk befürwortet wurde, sodass ich meinen Antrag zurückziehen konnte. Im Ergebnis erhält die Stadt Oranienburg hoffentlich eine Satzung, die sich an den Regeln der deutschen Sprache orientiert und allgemein verständlich ist.

Ergänzung: Gelegentlich wird vorgeschlagen, zur geschlechterneutralen Formulierung eine Partizipialkonstruktion zu verwenden. Das wohl bekannteste Beispiel hierfür sind die „Studierenden“ statt der „Studenten“. Aber auch dies ist irreführend. So drückt das Partizip I in der deutschen Sprache die Gleichzeitigkeit von Handlungen bzw. eine im Moment des Geschehens stattfindende Tätigkeit aus. So ist ein Studierender nicht notwendigerweise ein Student, sondern vielmehr eine Person, die gerade etwas studiert – z. B. eine Gebrauchsanweisung. Ein Student hingegen ist eine Person, die an einer Hochschule eingeschrieben ist und gewohnheitsmäßig einem Studium nachgeht. Kein Student ist jedoch permanent Studierender – zum Glück! Deutlicher wird diese sprachliche Ungenauigkeit am Beispiel des „Busfahrenden“. Hierbei ist nicht mehr klar, ob die Person den Bus selbst fährt oder nur Fahrgast ist.

Für die Anregungen zu meiner Rede möchte ich ausdrücklich dem jottes danken, dessen Artikelserie hier wertvolle Anregungen und Beispiele geliefert hat.

Diesen Beitrag teilen

Zurück

Vom Wirken der AfD und dem (falschen) Umgang der Konkurrenz – Ein Beispiel aus der Kommunalpolitik

Nächster Beitrag

Von der Villa im Grunewald ins Getto von Litzmannstadt – Die Geschichte des jüdischen Mühlenbesitzers Max Lazarus

  1. Woogpirat

    Sehr gut argumentiert.

  2. niburu

    Weltraumaffen sei Dank habe ich diese super Seite gefunden! Wird mir als Argumentationshilfe dienen, danke 🙂

  3. Manitu

    Woah, Gratulation! Selten so eine klare argumentative Auseinandersetzung mit dem Thema gelesen!

    Vielen Dank!

  4. Grüße von Deinem alten Lehrer!
    Aus Dir ist ja tatsächlich was geworden.
    Mach weiter so!

    Victor

Schreibe einen Kommentar zu Victor Habermann Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén