Am 21./22. Oktober 2017 fand der Bundesparteitag der Piratenpartei Deutschland in Regensburg statt. Dieser stand unter dem Eindruck von vier verlorenen Landtagswahlen und einer mit 0,37% mehr als deutlich verlorenen Bundestagswahl. Der bisherige Bundesvorsitzende Patrick Schiffer hatte bereits vorab auf eine erneute Kandidatur verzichtet und zog zu Beginn der Veranstaltung ein bemerkenswert selbstkritisches Fazit seiner Amtszeit.
Zum neuen Bundesvorsitzenden wurde der bisherige Stellvertreter Carsten Sawosch gewählt. In seiner Vorstellungsrede bemühte er sich, ein realistisches Lagebild der Partei zu skizzieren, ohne jedoch die Frage nach einer grundsätzlichen Neuorientierung explizit aufzuwerfen. Er erhielt am Ende erwartungsgemäß knapp 69% der Stimmen. Auch die Wahl der sonstigen Vorstandsmitglieder hielt keinerlei Überraschungen bereit. In meinen Augen wurde der Bundesvorstand unter den zur Verfügung stehenden Kandidaten optimal besetzt. Streitigkeiten – wie im vorherigen BuVo – sind nicht zu erwarten; der neue Bundesvorstand startet als Team. Insgesamt dürfte er eher für Kontinuität und vorsichtige Reformen, denn für eine Revolution stehen. Ob das in der gegenwärtigen Situation der Partei die richtige Wahl ist, wird sich erst noch herausstellen. Angesichts der massiven Probleme der Partei wäre ein Stillstand, ein „Weiter so“ und ein bloßes Verwalten des Niedergangs sicherlich das größte Übel. Dies sollte den Verantwortlichen den Mut und die Kraft geben, auch unbequeme Entscheidungen anzupacken und durchzusetzen. Jetzt, wo wir beinahe alles verloren haben, haben wir die Freiheit fast alles zu tun. Mein Schwert habt ihr.
Leider schienen sich Teile der Partei dessen immer noch nicht bewusst. In der insgesamt wenig zielführenden Aussprache zum Zustand der Partei war immer wieder von externen Faktoren für den eigenen Misserfolg die Rede. So hätten andere Parteien viel mehr Ressourcen gehabt, wohingegen die Piraten mit minimalen Mitteln hätten auskommen müssen. Materiell waren wir unseren Mitbewerbern aber stets unterlegen, selbst als wir an der Wahlurne noch Erfolge feierten. Das allein kann also nicht als Erklärung für den Misserfolg herhalten. Zudem hätten Ängste statt positiver Zukunftsvisionen die Wahlentscheidung vieler Menschen geleitet. Das mag alles sein, jedoch ist es die Aufgabe einer Partei, auf diese Stimmungen einzugehen und die Fragen der Bürger zu beantworten. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Ergebnissen von AfD und FDP hat abseits einfacher Erklärungsmuster auch in unserer Partei noch nicht stattgefunden. Stattdessen ein Hoffen auf bessere Zeiten. Hier hätte ich mir etwas mehr gewünscht, wenn auch nicht unbedingt erwartet.
Bester Ausdruck dessen ist die Diskussion um die Erstellung eines Programms zur Europawahl 2019. Hier standen zwei konkurrierenden Anträge zur Wahl. Ein Antrag sah lediglich Überarbeitungen auf Grundlage des bestehenden Programms vor. Alternativ bot ein anderer Antrag die Möglichkeit, das Programm komplett neu zu starten und ggf. Teile des bisherigen Programms zu übernehmen. Die Versammlung entschied sich für den ersten Antrag. Das bestehende Europaprogramm mag zwar unter erheblichem Aufwand erstellt worden sein. Es stammt aber aus 2013 und damit aus einer Zeit, als die Situation innerhalb der Piraten und auch innerhalb Europas noch eine gänzlich andere war. Zudem konnte das Programm schon 2014 nicht überzeugen. So schnitt die Piratenpartei damals überraschend schlecht ab und entsendete mit Julia Reda lediglich eine Abgeordnete ins Europäische Parlament. Auch hier hätte ich mir mehr Mut der Partei zu einem Neuanfang gewünscht, selbst wenn dies schlimmstenfalls nur ein Rumpfprogramm zur Folge gehabt hätte.
Etwas Lernfähigkeit bewiesen die Piraten dann aber doch. Im Angesicht des noch immer fehlenden Werkzeugs zur Online-Mitbestimmung standen drei konkurrierende Anträge zur Wahl, die allesamt die Einführung einer „Brückentechnologie“ bis zur Verfügbarkeit des BEO vorsahen. Zwei Anträge befürworteten die Wiedereinführung des schon einmal gescheiterten LiquidFeedbacks. Ein Antrag wollte sogar das System der Stimmendelegierungen in abgewandelter Form beibehalten, die in der Vergangenheit wesentlich zum Misserfolg der Software beigetragen hatte. Diese waren im Antrag von Michael Ebner nicht enthalten. Dieser hatte seinen Antrag zusätzlich um Löschfristen für die Zugrunde liegende Datenbank ergänzt. Unter Strich hätten beide Anträge die Piratenpartei allerdings um Jahre zurückgeworfen und das Potenzial für neue Streitigkeiten beinhaltet. Die Versammlung entscheid sich zum Glück für den dritten Antrag, der die Einführung des im Landesverband Hessen entwickelten virtuellen Meinungsbildes vorsah. Die Gefahr bei diesem Antrag besteht vor allem darin, dass er den BEO weiter verzögern könnte und zudem das Potenzial hat, nicht erfüllbare Erwartungen zu wecken. So fehlt dem neuen Tool eine satzungsgemäße Verankerung, weshalb den zukünftigen Abstimmungsergebnissen lediglich ein empfehlender Charakter zukommt. Der wesentliche Unterschied zu den bereits jetzt durchgeführten LimeSurvey-Umfragen besteht darin, dass Mitglieder nun selbst eigene Online-Meinungsbilder initiieren können. Vielleicht ist dies dennoch geeignet, um wieder Piraten zur Mitarbeit zu motivieren. Allen Beteiligten muss jedoch klar sein, dass auch das Setzen von Kreuzchen im besten Onlinetool nicht die harte politische Arbeit in der Ausarbeitung der Inhalte ersetzt. H3rmi hat es gesagt: Wir hatten bereits einmal ein ähnliches Tool. Die Ergebnisse waren bescheiden.
Im Ergebnis war der Bundesparteitag insgesamt harmonisch, ohne jedoch den ganz großen Wurf dazustellen. Positiv möchte ich auch den Umstand anmerken, dass ich viele nette Gespräche – auch mit zum Teil (mir) neuen Gesichtern – führen konnte. Die Partei scheint endlich an einem Punkt zu sein, an dem auch mit streitbareren Personen wieder sachlicher diskutiert wird. Auch die Wahl von Lily in den BuVo zeugt davon. Kritik an ihrer Wahl kam fast ausschließlich von außerhalb der Partei. Diesen Mut zum Unbequemen wünsche ich mir auch in allen anderen Fragen. Bloße Kompromisslösungen werden nicht ausreichen um uns aus der schwierigen Lage zu befreien. Kleine Parteien brauchen mehr als Große ein klar erkennbares Profil. Das bedeutet, dass man im schlimmsten Fall auch bereit sein muss, einige Menschen zu vergraulen, um eine größere Zahl von Menschen für sich zu gewinnen. Harmonie sollte am Ende der Aufarbeitung stehen, nicht unbedingt am Anfang. Die eigentliche Arbeit beginnt jetzt erst. So sehe ich zumindest die Gefahr, dass viele zu früh zufrieden sind, ohne dass die grundlegenden Probleme gelöst wären und eine tatsächliche Aufarbeitung unseres Scheiterns am Ende wieder einmal nicht stattfindet. Dafür muss sich auch die gesamte Basis hinterfragen. Die von H3rmi erfolgreich beantragte Basisdiskussion kann hierfür ein erster Schritt sein.
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